Heißer Engel
Mensch war, der mit großer Umsicht handelte. Sie hatte normalerweise den Hang dazu, ihre Ziele mit der Kraft eines Rammbocks zu verfolgen.
Was es noch seltsamer machte, dass sie Dereks “Unfall” einfach so hingenommen hatte. Er schob diesen Gedanken für den Moment zur Seite.
Es war kein offizielles Treffen mit dem Vorstand der Firma. Es war eine Familienangelegenheit, und Dane hatte vor, sie auch als solche zu betrachten. Seine beiden Onkel – beide schon älter und von Natur aus ruhig – waren zwar Vorstandsmitglieder, doch der eigentliche Grund für ihre Anwesenheit war abgesehen von ihren Leitungsfunktionen in unterschiedlichen Abteilungen vor allem die Tatsache, dass sie zur Familie gehörten. Seine Mutter saß wieder einmal zu seiner Rechten. Sein Cousin, ein freundlicher Typ, der den Bereich Vertrieb leitete, hatte am Ende des Tisches Platz genommen. Sie warteten auf Raymond und Danes Schwester Celia, die beide vorher noch an anderen Meetings hatten teilnehmen müssen.
Seine Schwester kam zuerst herein. In ihrem stylishen Kostüm sah sie elegant aus. Das blonde Haar trug sie offen, ihr Gesicht war blass. Sie weiß es, dachte Dane. Seine Schwester war sich bewusst, wie er dazu stand, hier den Geschäftsführer spielen zu müssen; sie musste keine Hellseherin sein, um zu wissen, dass er das Unternehmen verlassen würde. Er hoffte, dass seine Mutter in Betracht ziehen würde, die Position des Geschäftsführers eher mit Celia als mit Raymond zu besetzen. Das würde er vorschlagen – zusammen mit dem Versprechen, dass er öfter zu Besuch kommen würde, wenn man auf seine Wünsche einging. Es war eine Art Erpressung und damit etwas, das seine Mutter verstehen konnte und zu schätzen wüsste.
Direkt hinter Celia kam Raymond hereingeeilt. Er richtete seine Krawatte und schob sich das Hemd noch tiefer in die Hose. Sein Haar war leicht zerzaust, sein Gesicht etwas gerötet. Sehr untypisch für Raymond, der sich sehr viel Mühe gab, immer besonders tadellos und beherrscht auszusehen. Dane hatte das ungute Gefühl, dass die beiden zusammen gewesen waren und vielleicht ein bisschen herumgemacht hatten, statt sich um das Geschäft zu kümmern. Was um alles in der Welt seine Schwester in diesem Mann sah, wusste er nicht. Dane bemerkte, wie Celia Raymond prüfend betrachtete, wie Raymond daraufhin flüchtig lächelte, ihr den Stuhl heranzog und sich dann neben sie setzte. Vielleicht sind sie doch nicht zusammen gewesen, dachte er, als er den finsteren Blick seiner Schwester sah. Aber in dem Moment räusperte seine Mutter sich ungeduldig.
Dane erhob sich. Er wollte es schnell hinter sich bringen. Er war seit Stunden im Büro und wünschte sich eigentlich nur, möglichst bald wieder bei Angel zu sein. Als er sich vorstellte, wie sie zart und warm und erschöpft in ihrem Bett lag, spürte er, wie seine Erregung wuchs. Eigentlich hätte er längst befriedigt sein müssen, doch er fing an zu glauben, dass es, unabhängig davon, wie viel Zeit er mit ihr verbrachte, niemals genug sein könnte.
Er musste ihr alles sagen, musste alle Geheimnisse zwischen ihnen aus dem Weg räumen. Eigentlich hätte er das schon tun müssen, bevor er mit ihr geschlafen hatte, aber er hatte nicht riskieren wollen, abgewiesen zu werden. Jetzt brauchte er ihre Hilfe, um einerseits die Wahrheit hinter Dereks Tod aufzudecken und um andererseits die Quelle der Drohungen gegen sie zu finden. Tief in seinem Innern wusste er, dass beides untrennbar miteinander verbunden war, und sie mussten miteinander reden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Dane hatte nun zwei Ziele: seinen Bruder zu rächen und Angel zu schützen. Keines dieser Ziele konnte er erreichen, indem er weiterhin die Rolle seines Zwillingsbruders spielte – weder in Gegenwart von Angel noch im Büro.
Er sah in die neugierigen Gesichter seiner Verwandten, die um den Tisch saßen. “Ich habe ein paar Ankündigungen zu machen, dann könnt ihr euch wieder an eure Projekte begeben.”
Seine Mutter blickte wie versteinert geradeaus, mit verkniffenem Mund, der Ausdruck in ihren Augen hart. Zum ersten Mal bemerkte Dane die Anzeichen ihres Alters, die Müdigkeit, die Zerbrechlichkeit, die mit einem Mal ein Teil von ihr zu sein schienen. Er wandte sich seiner Schwester zu und sah, dass sie auf ihre Hände starrte.
Nur Raymond passte auf und wirkte beinahe begierig. Dane wünschte sich, es gäbe eine Möglichkeit, den Mistkerl auszuschließen und ihn hochkant rauszuschmeißen. Doch als
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