Heißer Schlaf
haben wir alle versucht.«
Dann schwiegen sie. Sie standen einige Meter vom Abhang entfernt. Sie warteten. Auf was? Stipock erkannte das Unmögliche der Situation. Sie warteten darauf, daß Hoom einschlief oder den Halt verlor oder an seinen Verletzungen starb. Im günstigsten Fall warteten sie darauf, daß er verdurstete. Wenn sie hier noch lange warteten, würden sie alle verrückt werden.
Auch Hoom war das alles klar, und er sagte das auch. »Ich lasse jetzt los!« rief er.
»Nein!« jammerte Dilna, und die Schlucht gab den Schrei zurück. »Nein! Nein!«
»Ich kann mich hier nicht ewig festhalten! Worauf sollte ich warten? Auf Jasons fliegendes Schiff?«
»Ist Cammar irgendwo bei dir in der Nähe?« rief Wix, der Hoom von seinen Todesgedanken ablenken wollte.
»Er ist tot«, war die Antwort.
»Kannst du ihn sehen?« fragte Wix. Es dauerte lange, bis Hoom antwortete. »Auf diesem Felsen liegt viel Blut«, sagte Hoom, »und meines ist es nicht. Zwischen mir und dem Fluß ist nicht das geringste.« Hooms Stimme zitterte beim Sprechen.
Dilna erbrach sich und würgte laut. Es war ein entsetzliches Geräusch, und Stipock wollte seine ganze Hilflosigkeit hinausschreien. Wix weinte. Nicht so sehr aus Kummer, als vielmehr aus Verzweiflung.
»Stipock!« rief Hoom.
»Ja?«
»Sag es ihnen!«
»Ja!« rief Stipock zurück.
»Uns was sagen?« fragte Wix und sah erschrocken auf. »Was?«
»Daß er es gewußt hat und daß er euch beiden verzeiht.«
Wix und Dilna schwiegen jetzt. Hoom rief von unten: »Aber du, Stipock! Dir werde ich nie verzeihen!«
Stipock durchfuhr ein stechender Schmerz, und der Magen krampfte sich ihm zusammen. Das konnte der Junge nicht ernst meinen.
»Ich werde dir nie verzeihen, daß du mir vor meinem Tode nicht mehr beigebracht hast!«
Stipock war sehr erleichtert und setzte sich langsam hin. Aber das Schuldgefühl wollte nicht weichen. Denn nur Stipock hatte Hoom in diese Lage gebracht.
Hoom sagte nichts mehr. Man hörte den Fels wegbröckeln. Kein Schrei. Kein Geräusch eines aufschlagenden Körpers. Nachdem Hoom losgelassen hatte, herrschte tiefe Stille, und das Rauschen des Flusses tief unten schien ungewöhnlich laut.
Wix und Dilna saßen nur da. Sie sagten nichts, und sie berührten einander nicht. Nach einer Weile ging Stipock weiter den Hügel hinauf und suchte Buschwerk, um ein Feuer zu machen. Als es brannte, ging er zu den beiden jungen Leuten zurück und führte sie den Hügel hinauf an das Feuer. Sie kamen geduldig mit, aber sie wichen seinen Blicken aus. Stipock konnte sich denken, woran sie dachten. Jahre der Untreue, und sie hatten nicht damit aufgehört, sie hatten nie damit aufgehört. Und sie wußten, daß Hoom wußte, daß sie ihn betrogen hatten. Kein Wunder, dachte Stipock, daß sie getrennt am Feuer Platz genommen haben. Als Hoom noch lebte, konnte kein Schuldgefühl sie trennen; jetzt, da er tot ist, wird es sie, wenigstens eine Zeitlang, gründlicher trennen als es die Ehe je vermocht hätte.
Ein paarmal schrien Wix und Dilna nachts im Schlaf auf.
Auch Stipock schlief schlecht. Am nächsten Tag gingen sie zurück und versuchten, auf einem anderen Weg den Nordwesthang des Berges hinabzukommen. Den Fluß, der Dilna Mann und Sohn genommen hatte, fanden sie nicht, und sie waren fast froh darüber.
Der Wald nahm sie auf, und sie kamen nur langsam vorwärts. Zuletzt konnte Dilna wegen ihrer Schwangerschaft nicht weitermarschieren. Sie bauten ein Haus und gingen im Wald auf die Jagd. In Fallen fingen sie kleinere Tiere und Vögel und sammelten Vorräte für den Winter. Dabei blieben Stipock und Wix oft tagelang dem Haus fern. Sie wollten sicherstellen, daß sie nicht unvorbereitet waren, wenn der Winter über sie hereinbrach.
Hier im Wald fiel mehr Schnee, als sie es in Himmelsstadt je erlebt hatten. Auch die Bäume waren höher und standen dichter, und daß es selbst um die Mittagszeit so dunkel war, obwohl die Bäume ihr Laub verloren hatten, war für sie erschreckend. Aber in diesem Winter wurde Dilnas Kind geboren. Ein Sohn.
»Wirst du ihn Hoom nennen?« fragte Stipock.
Sie schüttelte den Kopf. »Hoom wünschte sich einen Sohn, der Aven heißt.« An diesem Tag wurde nicht mehr viel geredet, obwohl der Schnee sie zwang, im Haus zu bleiben; sie dachten an den Tod, als Dilna dem Kind die Brust gab.
Als es Nacht wurde und sie neue Scheite für das nächtliche Feuer geholt hatten, sprach Dilna vom Bett her, in dem sie noch lag, um sich von der Geburt zu
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