Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
war zwar seit Hunderten von Jahren Bastiens bester Freund und mochte ihn in seinen allerschlimmsten Momenten gesehen haben, aber das hieß noch lange nicht, dass Bastien für einen Feigling gehalten werden wollte.
Er hatte sich gerade in Bewegung gesetzt, als Emile ihn am Jackett zurückhielt.
»Warte«, sagte er. »Lass das Ding hier, alter Freund, und öffne diesen steifen Kragen! Tu ausnahmsweise einmal so, als wärst du nicht geschäftlich hier. Keine Frau will von einem Mann hofiert werden, der aussieht, als hätte er ein Lineal verschluckt.«
»Na schön.« Bastien zog das Jackett aus, warf es in die Büsche und kämpfte mit dem kleinen weißen Knopf an seinem Hals. Dann, um zu beweisen, dass er nichts nur halb tat, krempelte er auch noch die Ärmel auf.
»Très bien« , lobte Emile. »Jetzt siehst du schon entspannter aus.«
Mit zusammengebissenen Zähnen, um seine Aufregung zu verbergen, trat Bastien durch die Tür der Bäckerei. Von früheren Besuchen wusste er, dass das Schild Geschlossen nicht Ver schlossen bedeutete. Die Bewohner dieser kleinen Stadt waren erstaunlich wenig paranoid. Das Dekor des Geschäftsraumes war das eines Esslokals aus den Fünfzigern – aber nicht wiederhergestellt, sondern original, mit sämtlichen Rissen und abgewetzten Flächen, die dazugehörten. Bastien hatte diese Zeit gemocht, wenn er sich recht erinnerte: die Gary-Cooper-Filme, den Rock ’n’ Roll und den Geruch von Cheeseburgern auf einem Grill.
Was für ein komischer Gedanke, dass Mariann damals noch nicht geboren war!
Er, Bastien, war also noch einsamer gewesen, als ihm bewusst gewesen war.
Fröstelnd strich er mit der Hand über die silberne Zierleiste des Tresens, aber sein Herz klopfte schon schneller bei der Aussicht, den Gegenstand seiner Träume zu sehen. Die Dinge, die er darin mit ihr anstellte – und auch in Wirklichkeit gern anstellen würde –, hätten ihr Haar sogar noch mehr gekräuselt; sein Drang, sie zu besitzen, war unbändig und wild. Und egal, wie schwierig das Verliebtsein auch sein mochte – Marianns Gesellschaft war für Bastien so notwendig geworden wie das Essen.
»Bon soir« , rief Emile in Richtung Küchentür. »Wir sind gekommen, um euch reizenden Damen Gesellschaft zu leisten.«
»Emile!«, antwortete Heather, als sie aus der Küche stürmte und dabei fast ihre Kochmütze verlor. »Du kommst gerade recht, um mir aus der Bredouille zu helfen, denn ich bin mal wieder in Ungnade gefallen.«
Anders als Bastien und Mariann, waren Heather und Emile gleich nach ihrer ersten Begegnung Freunde geworden, wie an ihrem Lachen und den Küsschen zu erkennen war, die sie tauschten. Soweit Bastien das beurteilen konnte, hatte das Mädchen überhaupt nichts Misstrauisches an sich. Emile hatte sein Blendwerk und Charisma kaum benutzen müssen, um in Heather den Eindruck zu erwecken, dass er menschlich aussah. Vielleicht hatte sie, jung und hübsch wie sie war, auch einfach nur eine Schwäche für gut aussehende Männer. Auf jeden Fall wusste Bastien, dass sie nicht eingeschüchtert von ihm war.
»Lange Nacht?«, zog sie ihn mit erhobener Braue auf.
»Wir hatten viel zu planen«, antwortete er und bemühte sich, nicht allzu auffällig über ihre Schulter zu spähen. »Für die Laubsammler im Herbst. Wir überlegen, ob wir nicht ganz groß eröffnen sollen, um die Touristenströme zu nutzen, die herkommen, um die Herbstfarben zu sehen. Und als wir fertig waren mit unserem Brainstorming, beschlossen wir, auf einen Kaffee bei euch vorbeizuschauen.«
»Na klar«, erwiderte Heather gedehnt. »Weil Kaffee ja genau das ist, was jeder vor dem Schlafengehen braucht.«
Bastien war nicht sicher, aber er glaubte zu sehen, dass sie und Emile sich zuzwinkerten.
»Entspann dich«, sagte sie auf sein Stirnrunzeln hin. »Aschenbrödel muss Töpfe schrubben, doch ich werde die Chefin zu euch hinausschicken.«
Bastiens Handflächen wurden augenblicklich feucht. »Nur wenn sie nicht zu beschäftigt ist.«
»Beschäftigt sind wir immer«, scherzte Heather, »aber nie zu beschäftigt, um uns Zeit für euch zu nehmen.«
Mit seinem scharfen Upyr -Gehör konnte Bastien den gewisperten Streit hinter der Küchenwand nicht überhören. Die Worte »hübscher Junge« und »komischer Vogel« waren besonders klar zu hören. Anscheinend wollte Mariann ihn nicht sehen. Er bekam heiße Ohren vor Scham – einer Scham, die er nicht mehr empfunden hatte, seit er Mensch gewesen war.
»Geh raus da«, zischte der Teenager am
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