Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
unerwartete Finanzspritze von den Luces, und solange ihre Schecks gedeckt waren, scherte sich kein Mensch darum, was sie ansonsten trieben.
Mariann selbst stand ihnen eher misstrauisch gegenüber, obwohl der jüngere Luce, Emile, ein sehr charmanter Mann war. Trotz ihrer Zweifel half sie ihnen jedoch bei der Umgestaltung ihrer Küche und versprach, auch weiterhin regelmäßig Gebäck zu liefern. O’Faolain’s, versicherten die beiden ihr, werde immer ein geschätzter Freund des Night Owl Inn sein.
Manchmal dachte Mariann, dass sie wahrscheinlich mehr Vertrauen zu ihnen hätte, wenn sie nicht ganz so attraktiv wären. Ihr Ex war es nämlich auch gewesen, ein goldener Junge mit einem Herz aus Stein. Nach kurzen, sechsmonatigen Flitterwochen, in denen er sie wie eine Königin behandelt hatte, hatte er sie betrogen und das offenbar auch noch für sein gutes Recht gehalten: Für ihn war Leben vor allem Freiheit und die Jagd auf Sekretärinnen in kurzen Röcken. Wenn Mariann Emile und Bastien ansah, konnte sie nicht umhin zu denken: Hab ich alles schon gesehen.
Und wenn sie noch bisschen weiterdachte, wenn sie Bastien ansah, ging das niemand anderen was an als sie. Es war nicht seine Schuld, dass er ihr im Traum erschienen war.
Während sie die Vorurteile abschüttelte – für die es im Übrigen keinen echten Grund gab, wie sie zugeben musste –, bemerkte sie, dass das Baugerüst entfernt worden war, das in den letzten Monaten die Fassade des Night Owl Inn verdunkelt hatte. Das um 1840 erbaute Night Owl ähnelte mehr einer Burg als einem Haus mit seiner Granitfassade und den gotischen Fenstern, die dem bescheidenen kleinen Ort etwas von Old England gaben. Der Rasen, auf dem das Night Owl stand, war kurz und glatt genug für eine Runde Golf und beschämte Marianns etwas ungepflegten Hof daneben.
Sie musste zugeben, dass sie beeindruckt war. Noch nie hatte sie eine Renovierung derart schnell vorangehen sehen. Aber vielleicht brachte das viele Geld, mit dem die Luces um sich warfen, ja sogar die faulsten Einheimischen auf Touren.
Mariann stieg von ihrem alten braunen Fahrrad, um es die letzten Meter des Kiesweges hinaufzuschieben. Über ihr ratterte das Schild O’Faolain’s Bäckerei an seinen Ketten. Ein zweites mit der Aufschrift: Familienrezepte seit 1940, ganz gleich, was andere behaupten , hing direkt unter dem ersten.
Mit einem beifälligen Nicken zu dem Zusatz lehnte sie ihr Fahrrad an die Wand unter dem Vorderfenster. O’Faolain’s hatte eine kleine Sitzecke, eine breite Theke wie in einem Diner und eine Küche dahinter. Da das Licht schon brannte, musste ihre Gehilfin es irgendwie geschafft haben, aus dem Bett zu kommen. Heather war erst achtzehn und hatte einen Freund. Es sprach für sie, dass sie trotzdem immer zur Arbeit kam … nur manchmal eben nicht gerade pünktlich.
Mariann lächelte im Stillen, als sie eintrat und »Hallo«, rief.
»In der Küche«, antwortete Heather in einem Ton, als wäre sie den Tränen verdächtig nahe.
Mariann traf sie mit düsterer Miene vor sechs Blechen frisch aus dem Ofen gekommener Törtchen an.
»Sie sehen überhaupt nicht aus wie Blätterteig«, stöhnte Heather mit der übertriebenen Dramatik ihrer Jugend. »Es sah so leicht aus, als du es mir gezeigt hast, aber egal, was ich unternommen habe, die Dinger sind nicht aufgegangen.«
Mariann biss sich auf die Lippe und fragte sich, ob sie Heather tadeln oder loben sollte. Es war gut, dass das Mädchen erraten hatte, dass Mariann heute Törtchen backen wollte, doch nun würden sie alles sauber machen und von vorn anfangen müssen.
»Hast du alle Zutaten so in die Teigmaschine gegeben, wie ich es dir aufgeschrieben habe?«
»Ja«, erwiderte Heather mit zitternder Stimme und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Und ich habe auch nichts schmutzig gemacht.«
Mariann hatte bereits bemerkt, wie die Arbeitsfläche glänzte. Ihre ständigen Ermahnungen an Heather, hinter sich aufzuräumen, zeigte allmählich Wirkung. Was sich nicht auszahlte, waren ihre Appelle, nicht loszurennen, bevor sie gehen gelernt hatte. Heathers Eltern waren Bridge-Freunde von Marianns Eltern, und sie hatte das Mädchen aus Mitleid eingestellt, nachdem es eine Kochschule abgebrochen hatte. Damals hatte man dem Teenager nicht mal zutrauen können, ein Ei richtig zu kochen.
Als wüsste sie, was ihre Chefin dachte, zitterte Heathers Kinn wie das eines Kindes.
»Ach, Kleines«, sagte Mariann, schon halb versöhnt, und drückte Heather
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