Heißes Eisen
sichere Gegend. Die Gauner meiden das Viertel, weil die Anwohner die Gewohnheit haben, sich zusammenzurotten. Der Gerechtigkeit wird hier effektiv, unbürokratisch und mit beträchtlicher Begeisterung Genüge getan.
Anscheinend kannten Lou Latsch alle. Mich dagegen kannte keiner, was meine Gefühle aber keineswegs verletzte. Im Gegenteil, in meinem Beruf ist das von Vorteil. »Hast du viel Zeit hier verbracht?« stieß ich schweratmend hervor.
»Ich bin hier aufgewachsen. Eine Straße weiter. Paps war Sattler.« Vielleicht erklärte das ja sein Interesse an Pferden. »Aber im Krieg habe ich mich geändert. Als ich zurückkam, war ich zu nervös, konnte mich nicht mehr einfügen. Hier schlagen die Uhren langsamer, und in gewisser Weise ist es sogar zeitlos. Die Menschen ändern sich nicht, sondern folgen unbeirrbar ihren Gewohnheiten. Ich könnte dir vermutlich genau erklären, wer was tut, obwohl ich schon seit Monaten nicht mehr hier war. Im Moment ißt Linden Holzhauer mit seiner Gattin zu Abend. Seine Söhne essen mit ihren Familien, und seine Lehrlinge essen Brot und Käse, während sie das Geschäft saubermachen. In einer halben Stunde werden sie nacheinander allmählich im Krug & Kittel eintrudeln. Jeder wird einen Halben Dunkelbier bestellen, dann werden sie sich in eine Ecke zurückziehen und sich eine Stunde lang an ihren Humpen festhalten. Danach wird jemand sagen, daß er jetzt lieber nach Hause geht, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen muß. Der alte Linden wird ihn zum Bleiben überreden und die nächste Runde bezahlen. Dann bleiben alle noch eine Stunde, trinken gleichzeitig aus, stehen auf und gehen nach Hause.«
Hörte sich an, als wäre das Leben in der Werkerreihe verdammt aufregend.
Es war die längste Rede, die ich je von Lou Latsch gehört hatte. Während er sprach, führte er mich zu der Eckkneipe mit dem merkwürdigen Namen. Die meisten Kneipen, die ich kannte, hatten seltsame Namen, wie zum Beispiel Thunfisch und Delphin, oder Blaue Bottel, aber nur deshalb, weil die meisten Leute nicht lesen können. Normalerweise hängt ein Schild mit ein paar Symbolen über der Tür, fungiert als Namensschild und gibt die Adresse an. Krug und Kittel hatte kein Schild. Schließlich fragte ich Lou Latsch nach der Bedeutung des Namens und erfuhr, daß es die Namen der Familien waren, die diese Kneipe führten. Wenn da Nomen kein Omen ist.
Manchmal lohnt es sich eben nicht, ein Rätsel zu lösen.
Lou Latsch sah sich um. Es war nicht sehr voll. Er hielt mich fest, während er einen Tisch aussuchte. »Wir wollen den Stammkunden nicht in die Quere kommen.« Offenbar störte es sie, wenn ein Laufkunde sich an einen ihrer Stammtische setzte. Lou Latsch entschied sich für einen kleinen Tisch mitten im Raum. Er wirkte weniger abgenutzt als die anderen.
Lou Latsch bestellte, und ich zahlte. Er wählte Dunkelbier. »Du kannst hier jedes Bier haben, das du willst, solange du bereit bist, für dein Pils oder Lager in eine andere Kneipe zu gehen.«
»In gewisser Weise sind sie sehr konsequent.« Aber ich mag gelegentlich auch Dunkelbier. Dieses hier erwies sich als sehr vollmundig und hatte einen starken Malzgeschmack. Malz schmeckt besser als Hopfen.
»Sie sind stur. Wenn Holzhauer reinkommt, laß mich den Moment abpassen und reden.«
Ich nickte. War vermutlich das Vernünftigste.
Langsam füllte sich das Gasthaus. Ob jung oder alt, die Kunden waren alle aus demselben Holz geschnitzt. Ob es ein Problem gab, weil Lou Latsch der einzige Schwarze war? Nein. Einige Gäste blieben kurz stehen, grüßten ihn und plauderten, während sie mir neugierige Blicke zuwarfen. Aber ihre knallharte Erziehung verbot es ihnen, dieser Neugier laut Ausdruck zu verleihen.
Lou Latsch erkannte die Lehrlinge des Kutschbauers, als sie hereinkamen. »Holzhauer hat erst vor ein paar Jahren angefangen, Lehrlinge anzunehmen. Schuld daran ist der Krieg. Er hat zwei Söhne verloren, und keiner seiner Enkel ist zurückgekehrt. Aber drei leisten noch ihre fünf Jahre ab. Vielleicht haben sie ja mehr Glück.«
Die Lehrlinge waren schon ziemlich alt, etwa Mitte Zwanzig. »An Holzhauers Stelle würde ich meine Kinder so heranziehen, daß sie die Fronteinheiten meiden könnten. Die Nachschubeinheiten brauchen immer Kutschbauer.«
Lou Latsch sah mich an, als hätte ich überhaupt nichts kapiert. »Wo soll er die Kinder hernehmen? Jede Familie mit Kindern hier in der Werkerreihe bindet sie ins Familiengeschäft ein.«
Zugegeben.
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