Heißes Geld
Wenn er erst das Geld hat, wird er für immer untertauchen – und weiß Gott, wo dieses Mal. Sicher nicht in Europa. Er wird wieder einmal seinen Namen ändern, und diesmal werden nicht einmal Sie mehr wissen, wie er sich nennt – und dafür haben Sie …«
»Schweigen Sie, Sie – Sie Scheusal«, unterbrach sie Hannelore keuchend, sie griff nach ihrem Koffer und lief blindlings davon.
Erst als sie merkte, daß sie nicht mehr verfolgt wurde, rannte sie nicht mehr wie gejagt. Sie ging an einen Taxistand: »Hotel ›Intercontinental‹«, fuhr sie den Fahrer an, nahm im Wagen Platz, ohne sich noch einmal nach der ungebetenen Kassandra umzudrehen.
»Scheußlich, Sigi«, sagte Barbara zu ihrem Bruder, der in einiger Entfernung die Szene als Augenzeuge miterlebt hat: »Ich mußte sie provozieren, damit sie nun ihrerseits Linsenbusch in eine Kurzschlußhandlung treibt.« Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, daß ihr noch 40 Minuten Zeit bis zum Abflug nach Mailand blieben.
»Wir haben nunmehr so viele Beweise, daß jeder Richter einen Haftbefehl gegen sie erlassen würde«, stellte Sigi fest.
»Aber ich möchte Henry in Locarno nicht vorgreifen«, erwiderte Barbara: »lass sie nicht aus den Augen, Sigi«, bat sie den Kriminalrat. »Sie ist jetzt in einem verheerenden Zustand. Das wird sich noch verschlimmern, wenn sie die Wahrheit endgültig begriffen hat.«
»Ich werde die Frankfurter Kripo einschalten«, versprach Sigi. »Sei unbesorgt: Inoffiziell natürlich.«
Sie gingen an die Kaffeebar, nahmen einen Espresso, schickten einen Schnaps hinterher. Dann brachte Sigi seine Schwester zum Flugsteig.
»Grüß Henry«, sagte er, zögerte einen Moment, überwand die Hemmschwelle und fragte dann: »Wie stehst du eigentlich zu ihm?«
»Na ja«, erwiderte Babs, ohne erkennen zu lassen, ob sie es ernst meinte: »An seiner ersten Liebe hängt man ja immer besonders.« Sie sah Sigis besorgtes Gesicht und setzte hinzu: »Unter uns gesagt: Für einen Mann, mit dem ich schon einmal in einem wunderschönen Himmelbett zusammen übernachtet habe doch eigentlich noch recht distanziert.«
»Er ist ein feiner Kerl«, entgegnete Sigi. »Und mein Freund, aber du«, sagte er und beugte sich zu ihr herab, »bist meine kleine Schwester.«
»Nun fang du auch noch an«, versetzte Barbara gereizt. »Ich muß weder dich fragen, noch ihn, noch«, entfuhr es ihr wider Willen, »seine verstorbene Frau.« Sie nickte Sigi nachdrücklich zu. »Nicht dich, nicht ihn, nicht Jessica«, wiederholte sie. »Zunächst nur mich. Niemanden anderen. Das ist dir doch wohl klar?«
»Mach's gut«, erwiderte der Mann mit dem Holzbein und sah Barbara nach, bis sie vom Trubel geschluckt worden war.
Der Tag trug strahlendes Blau. Am späten Vormittag hatte die Sonne den Schönwetterdunst vollends absorbiert. Von Süden kam eine leichte Brise, und die Palmen wedelten geschwätzig mit ihren Fächern. Die Kirchenglocken riefen zur letzten Sonntagsmesse. Schön und feierlich schallte ihr Klang über den Lago, aber für den Amerikaner hörte es sich an, als läuteten sie eine endlos verspätete Entscheidung ein.
Henry wurde von einer Stimmung bedrängt, die in krassem Gegensatz zu diesem Tag und seiner verschwenderischen Schönheit stand, blicklos saß er in einem Garten Eden – doch sein Paradies war von einer anderen Welt, war die Eintreibung einer überfälligen Rechnung. Er hatte die Lawine losgetreten, und sie donnerte nun rasend schnell mit übermächtiger Kraft talwärts, dem Abgrund zu, genau in der Richtung, die ihr der Anwalt aus New York gegeben hatte.
Henry war inzwischen in zwei nebeneinander liegende Apartments der Bel-Etage umgezogen. Barbaras baldige Ankunft gab ihm den Vorwand, sich neben Linsenbusch und seiner Begleiterin einzunisten. Von seinem Balkon aus hatte er die Terrasse am See und den ›La Palma‹-Eingang gleichermaßen im Blick. Er konnte sich hier sonnen, ohne etwas zu versäumen, aber seine Gedanken waren wenig sonnig. Der Anwalt ging den Fall immer wieder durch, unerbittlich und pedantisch, wie ein Meister bei der Endkontrolle.
Der Mann, den er jagte, und seine Begleiterin schliefen noch. Sie waren in der letzten Nacht von einem jungen Tessiner nach der ›Lello-Bar‹ in die ›Taverne‹ gelockt worden und dann bis um vier Uhr morgens sitzen geblieben. Es wäre für Linsenbusch wohl besser gewesen, ausgeschlafen und frisch in den heutigen Tag zu gehen – ein Kater eignete sich gleichermaßen schlecht für einen
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