Heißes Geld
reserviert.«
Der Page ergriff ihren Koffer. Hannelore lief neben ihm zum Lift, gezogen wie von einem Blindenhund. Er legte das Gepäckstück auf einen Lattenrost und überzeugte sich, daß das Badezimmer in Ordnung war.
Gleich beim Betreten hatte Hannelore festgestellt, daß sich Horst durch ein wunderschönes Orchideengebinde vertreten ließ. Sie nahm die beiliegende Karte und las den maschinengeschriebenen Text:
AUF GLEICH. FREUE MICH.
W.
Zunächst stellte sie mit törichter Erleichterung fest, daß der Blumengruß aus Düsseldorf abgegangen war, aber gleich danach wurde ihr klar, daß ihr Mann den Auftrag über seine Firma oder auch direkt über einen ihm bekannten Floristen erteilt haben könnte. Nicht jede Scheußlichkeit, die ihr diese schreckliche Person am Flugplatz an den Kopf geworfen hatte, konnte erfunden sein. Zunächst wußte oder ahnte die Angreiferin, daß Horst noch lebte und sie im ›Intercontinental‹ mit ihm verabredet wäre. Ob er tatsächlich kommen würde, müßte sich erst noch im Laufe des Tages herausstellen.
Es war nicht auszuschließen, daß Horst sie durch ein abgefeimtes Betrugsmanöver endgültig abhängen wollte. Sie wehrte sich noch immer dagegen, versuchte den Zusammenbruch durch Argumente zu unterfangen, durch Hoffnungen abzustützen: Horst war in letzter Zeit, entgegen langjähriger Gewohnheit, mehrmals aus der Deckung gegangen – wofür womöglich ihr unbesonnener Anruf in Kettwig die Initialzündung abgegeben hatte.
Vielleicht war der Verschollene der Polizei aufgefallen, auf der Flucht vor ihr im letzten Moment ins Ausland entkommen. In diesem Fall würden seine Verfolger die angebliche Witwe benutzen, um an Horst heranzukommen oder ihn zu überführen. Die Vorstellung, daß er nun wieder gejagt würde, war für Hannelore schrecklich, aber doch noch erträglicher, als die andere wahrscheinlichere Möglichkeit.
Das Telefon, neben dem sie saß, war eine ständige Versuchung: Hannelore wußte, daß sie sich durch einen Anruf in Locarnos Hotel ›La Palma‹ Gewissheit verschaffen könnte, aber sie zögerte noch immer, zu feige, sich der Gewissheit zu stellen. Wenn die Polizei tatsächlich hinter Horst her wäre, würde sie nur darauf warten, daß sie den Flüchtigen durch einen Anruf identifizierte. Womöglich hätten sich die Fahnder längst in der Telefonzentrale dieses Hotels eingenistet und hörten mit.
Hannelore griff einen Stuhl, setzte sich ans Fenster mit der schönen Aussicht über den Main, der auch eine Flugschneise des Lufthafens markierte. Ständig kreisten Maschinen am Himmel, landeten und starteten. Sie fragte sich, ob Horst ankommen würde oder längst abgeflogen wäre.
Sie kauerte und wartete. Sie redete sich falschen Mut zu und spürte, wie die Verzweiflung sie langsam auffraß. Gewaltsam sagte sie sich, daß es nach 17 Jahren Wartens nun auf eine Stunde nicht mehr ankäme.
Sie verlängerte um eine zweite.
Dann hielt sie es nicht mehr aus und begann einen Ausweg zu ersinnen. Hannelore war von Natur aus eine eher gutgläubige, arglose Frau, aber die Zeit mit Horst hatte ihr Misstrauen geschärft, selbst in ihren besten Jahren – die auch schon sehr schlecht gewesen waren – hatte sie ihm laufend Blondhaare vom Revers gebürstet. Das Leben hatte ihr eine gewisse Verschlagenheit aufgezwungen, und so schaffte sie es jetzt, mit der Umsicht einer geborenen Intigrantin zu handeln: Zuerst überzeugte sie sich, daß sich niemand auf dem Gang vor ihrem Hotelzimmer aufhielt. Dann hängte sie das ›Bitte-nicht-Stören‹-Schild an ihre Tür, erreichte unbemerkt den Lift und fuhr in die Tiefgarage, wo ihr sicher niemand auflauern würde, da sie ja nicht mit dem Wagen gekommen war. Über die Fußgängerrampe ging sie die Ausfahrt hoch, erreichte unbeobachtet die Straße und ließ sich im Passantenstrom zum nahen Hauptbahnhof spülen. Im Postamt trat sie an den Fernsprechschalter und verlangte eine Verbindung mit Locarno 2 37 73.
Neben Hannelore saßen Gastarbeiter und Urlauber. Jedes Mal, wenn einer aufgerufen wurde und hochsprang, kam es ihr vor, als hätte eine Granate eingeschlagen. Endlich war sie an der Reihe.
»Albergo ›La Palma‹«, meldete sich das Hotel.
»Kann ich deutsch sprechen?« fragte Hannelore und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.
»Aber selbstverständlich, Madame.«
»Würden Sie mich bitte mit Frau Nareike verbinden?«
»Einen Moment bitte«, antwortete die Telefonistin, nach ein paar Sekunden meldete sie sich
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