Heißes Geld
wieder: »Hören Sie, Madame: Ich erfahre gerade, daß die Dame ausgegangen ist.«
»Dann verbinden Sie mich bitte mit Herrn Nareike«, bat die Anruferin mit angespannter Selbstbeherrschung. In ihrem Gesicht traten die Backenknochen spitz und scharf hervor.
»Appartamento diciannove, si«, hörte Hannelore die Telefonistin mit einer Kollegin sprechen: »Il Signor Nareike, è andato …« Sie sprach wieder laut und deutsch: »Hören Sie Madame – Herr Nareike ist leider ebenfalls außer Haus. Darf ich etwas bestellen?«
»Nein, danke«, antwortete die Anruferin rasch. »Ich versuche es später noch einmal.«
Sie legte auf.
Sie war wie blind – und sah doch rot.
Hannelore wollte nichts überstürzen, aber wenn – wie es aussah – diese Anwältin mit ihren Vorwürfen recht hätte, würde sie Schluß machen mit der Qual ihres Lebens, und das hieße: Kein Erbarmen mehr, weder mit Horst, noch mit sich selbst.
Sabine und René Puccini lagen nebeneinander auf dem Oberdeck des Motorboots und ließen sich von den Wellen schaukeln, ihre Schultern berührten sich, und mitunter rollten ihre Körper aufeinander zu. Die Endzwanzigerin, die sonst hautnahe Kontakte mit jungen Männern scheute, empfand es nicht als unangenehm. Vom ersten Moment an hatte sie eine Schwäche für den Jungen gehabt, obwohl sie annahm, daß er nichts taugte.
Es war bereits später Nachmittag. Die Sonne stand im Westen und wärmte dem schroffen Ghiridone den felsigen Buckel, sie leuchtete die pittoreske Piazza von Ascona aus, machte die Sommerfähnchen der Mädchen noch bunter und die Laune ihrer Verehrer noch übermütiger.
René hatte den Motor abgestellt. Das Boot trieb an den Isole di Brissago vorbei. »Die Liebesinseln«, erklärte der Tessiner: »Nach dem Ersten Weltkrieg ist ein Kaufhauskönig mit mehr als einem Dutzend junger Mädchen auf das Eiland gezogen.«
»Und das ging gut?«
»Schlecht«, antwortete René. »Der Mann hat sich ziemlich rasch in sein Grab hineingeschaufelt. Die Hinterbliebenen vergaben dann aus Ärger die Inseln an die umliegenden Gemeinden.«
»Und die Gespielinnen sind wieder nach Hause gefahren?«
»Keine einzige. Sie haben reiche Schweizer geheiratet. Bis auf eine – die arbeitet heute noch als hochbetagtes Zimmermädchen in einem Züricher Hotel.« Er blitzte sie an, seine Pupillen waren ein wenig dunkler als der See, aber René sicher seichter als der Lago.
»Du hast wirklich unwahrscheinliche Augen«, sagte Sabine.
»Mein Kapital.«
»… mit dem du ganz schön wucherst«, ergänzte sie lachend.
»Arm geboren, heißt noch nicht arm gestorben«, philosophierte er.
»Du möchtest also reich sterben?«
»Am liebsten gar nicht«, antwortete er. »Aber wenn schon, dann möglichst spät und reichlich wohlhabend.«
»Was macht ein Wasserskilehrer im Winter?« fragte Sabine.
»In der Zeit der Haselnüsse?« erwiderte René und lächelte frech. »Ich könnte natürlich sagen, daß ich Schnee räume, aber hier schneit's ganz selten …«
»Also, was dann?«
»Du wirst mich verachten«, erwiderte er, »aber im Winter betreibe ich eine Art, hm, Love-Leasing, auch Saison-Liebe genannt – aber rund um die Welt. In Rio zum Beispiel, wohin du morgen mit diesem Nareike fliegst, war ich schon dreimal zum Karneval. Übrigens traumhaft schön, sehr zu empfehlen.« Er deutete auf Ascona. »Viel lebendiger als dieses herausgefressene Fischernest.«
»Heißt das«, fragte Sabine, »daß du von Frauen lebst?«
»Von Witwen«, verbesserte er, als wäre es ein Beruf wie Autos reparieren oder Versicherungen abschließen: »Wenn mein Vater ein reicher Fabrikant wäre, hätte er mir dieses Motorboot geschenkt«, erläuterte René. »Da er aber nur ein versoffener Maurer ist, freut er sich, wenn ich es in harter Winterarbeit verdiene und dabei auch noch ein paar Boccalini ›Barbera‹ für ihn abfallen.«
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst?« fragte Sabine betroffen.
»Und ob«, versetzte er. »Schwerarbeit, das kannst du mir glauben. Der Mann, der den Hochofen heizt, plagt sich auch nicht mehr als ich.«
»Also, ältere wohlhabende Damen«, vergewisserte sich Sabine noch einmal.
»… die ihre Männer schon vor zehn Jahren unter die Erde gebaggert haben«, ergänzte René, »und die sich funkelnde Karate an ihre arthritischen Finger stecken. Hast du schon mal beobachtet, wie es aussieht, wenn diese Unersättlichen mit ihren mehrfach gelifteten Gesichtern lachen wollen? Weißt du wie?« gab er sich
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