Heißes Geld
setzte er hinzu und merkte, daß sein Vorschlag seine Begleiterin zunächst mehr erschreckt als erfreut hatte. »Damit wir uns nicht missverstehen«, fuhr Nareike fort: »Es verpflichtet dich zu gar nichts. Du erhältst von mir ein Rückflug-Ticket. Du kannst es nutzen oder nicht. Wir verbringen köstliche Urlaubstage, von mir aus mehr nebeneinander als miteinander, damit du Zeit zur Besinnung und Prüfung findest. Einverstanden?«
»Gut«, erwiderte Sabine. »Ich muß dir wirklich für deine Geduld danken. Ich glaube, du machst das alles ganz richtig.«
Auf der anderen Seite der Bar, genau vis-à-vis mit den Spätankömmlingen saß ein junger, dunkelhaariger Mann, der sie mit ergebenen Hundeaugen betrachtete. Er hatte ein schmales Gesicht, eine sportliche Figur und Augen, aus denen er kobaltfarbene Blitze zündete; er gefiel Sabine auf den ersten Blick so gut wie sie ihm.
Nareike entging der Blickwechsel nicht.
»Hübscher Junge«, sagte er anerkennend. »Gefällt er dir?«
»Allerdings«, versetzte das Mädchen.
»Mir auch. Vielleicht vierundzwanzig«, sagte er ohne Nachdruck, Sabine daran erinnernd, daß der Junge vermutlich fünf Jahre jünger sei als sie. »Sieht aus wie ein junger Mönch, vielleicht ist er sogar arm wie ein Bettelmönch – bloß nicht so keusch.«
»Was du alles weißt«, erwiderte Sabine. »Ich nehme an, daß er ein Student ist.«
»Man merkt, daß du nicht viel Erfahrung mit Männern hast«, spielte Nareike sich auf. »Er ist ein Typ für einsame Damen und lustige Strohwitwen.« Er lächelte wissend. »Merk dir das eine: Reitlehrer, Eintänzer, Tennistrainer und Skichampions sollte sich eine Frau erst ab vierzig leisten.«
»Wie kannst du nur so etwas behaupten?« fragte Sabine.
»Dafür habe ich einen Blick«, antwortete Nareike.
»Unsinn!« protestierte das Mädchen.
Der Junge sah wieder zu Sabine hin; sein Lächeln zeigte ebenmäßige, blendend weiße Zähne, die das gebräunte Gesicht voll zur Geltung brachten.
Im Zuge seiner Absicht, Sabine durch Großzügigkeit zu gewinnen, lud ihn Nareike zu einem Drink ein. Zuerst zögerte der Junge, dann setzte er sich an Sabines Seite.
»Puccini«, stellte er sich vor.
»Der Komponist?« fragte Nareike belustigt.
»Nicht Giacomo, sondern René«, antwortete der Eingeladene, »und leider bin ich auch sehr unmusikalisch.« Er trug einen hellroten Pullover, der offensichtlich auf seine dunklen Haare abgestimmt war, hatte eine wohlklingende Stimme und ein lebhaftes Temperament. Er sagte, daß er als Tessiner aus der Sonnenstube der Schweiz komme und morgen in aller Frühe an den Lago Maggiore zurückfahren müsse.
»Machen Sie dort Urlaub?« fragte Nareike.
»Leider nein«, erwiderte der Junge. »Ich arbeite da.«
»Einen Beruf haben Sie auch schon?«
»Einen seltsamen«, entgegnete René Puccini: »Ich bin Wasserskilehrer.«
Nareike stellte befriedigt fest, daß er die erste Runde gewonnen und Sabine imponiert hatte. Es störte ihn nicht, daß sie mit dem Jungen weiter flirtete. Er schrieb es sich als Erfolg zu, denn er war dabei, Sabines Komplex zu sanieren. Er wußte noch immer, wie man ein Mädchen erobert und hält. Freilich müßte er in seinem Alter die langen Sätze von früher durch die Politik der kleinen Schritte ersetzen, und das hieße: generös zu bleiben und sich nicht die Spur von Eifersucht anmerken zu lassen.
Nareike war mit sich zufrieden. Sabine bekäme er in den Griff, und Hannelore hatte sich bei dem letzten Telefongespräch sanft und vernünftig gezeigt. Richtig behandelt bliebe sie Wachs in seinen Händen, zumindest noch morgen, übermorgen und vielleicht auch noch einen Tag länger – jedenfalls lange genug.
20 Minuten später komplimentierte sie der Keeper aus der Bar. Sie gingen nach oben und suchten ihre nebeneinander liegenden Zimmer auf. Die Verbindungstür war unverschlossen, aber Nareike versagte sich einen Vorgriff auf das Nachher. Er schlief sich solo, fest und traumlos in seine goldene Zukunft hinein.
Es war eine groteske Situation: Unmittelbar bevor sich Henry W. Feller gegen neun Uhr 30 auf den Weg zu Saumweber machte, wußte er bereits, daß der Mann, hinter dem er her war, tatsächlich Linsenbusch hieß und von einem Züricher Postamt aus heute morgen das ›Regina‹ angerufen hatte. Da er seinen derzeitigen Namen nicht kannte, noch nicht, wäre es durchaus möglich, daß der Gesuchte unter den gutgelaunten Gästen saß, die auf der Terrasse des Hotels ›Zum Storchen‹ über der
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