Heißes Geld
überreichte sie dem Kaufmann, »und Sie werden sich sicher an den Ermordeten erinnern.«
Seligmann nahm sich Zeit zum Lesen, und der Anwalt beobachtete wieder einmal einen der Beteiligten bei der Lektüre. Er sah, daß Saumweber die Passage, in der er vorkam, zweimal repetierte und danach offensichtlich erleichtert wirkte: »Ja«, sagte er, »das war eine der typischen Linsenbusch-Schweinereien, und ich erinnere mich jetzt vage an sie. Ich habe damals ganz schlimme Dinge abbiegen können, aber hier ist es mir offensichtlich misslungen.«
»Und darum hing mein Mandant am anderen Tag tot an der Heizung«, stellte Feller fest.
»Also, Linsenbusch lebt noch«, sagte Saumweber, als fragte er: »Und Sie wissen auch wo? Und würden es mir sagen?«
»Unter Umständen«, antwortete der Amerikaner. »Wenn wir zu einem fairen Informationsaustausch kommen.«
»Wo lebt er?« fragte Seligmann, als könnte er seinen Besucher einen Vorschuss abhandeln.
»Meinen Sie ständig oder zur Zeit?« ließ ihn Feller zappeln.
»Zur Zeit «, erwiderte der Geschäftsmann.
»In Zürich«, schlug der Anwalt zum zweiten Mal zu, und einen Moment lang sah es aus, als könnte er diesmal seinen Gesprächspartner auszählen.
Dann stand Seligmann auf, ging mit unsicheren Schritten und schlecht verhohlener Erregung zur Tür, riß sie auf: »Sehen Sie zu, daß Sie Brändli noch abfangen«, rief er seiner Bilderbuch-Sekretärin zu: »Heute habe ich keine Zeit mehr für ihn. Nächste Woche wieder. Und bestellen Sie für heute Mittag einen Nischenplatz in der ›Kronenhalle‹.« Er drehte sich zu seinem Besucher um: »Ich darf Sie doch zum Mittagessen einladen?« fragte er und schloß, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder die Tür.
Seligmann zündete sich eine Zigarette an, schenkte zwei Cognacs – das bevorzugte Linsenbusch-Getränk – ein. »Auf unsere Zusammenarbeit«, sagte er, verschluckte sich, hustete und lächelte seinen Besucher an wie einen teuren Bundesgenossen, vielleicht schon mit der Frage befasst, wieviel Beuteanteil er ihn kosten könnte.
Es war Freitag, 11 Uhr l0, und Nareike war dabei, einen entscheidenden Fehler zu begehen.
Sabine hatte sich lange in den Vormittag hineingeschlafen. Dem Rat Nareikes folgend, wollte sie sich das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen, sie stand auf, schlug die Vorhänge zurück. Das Licht schoß in ihr Apartment wie ein Überfall. Geblendet schloß sie die Augen und ließ ihr Gesicht von der Sonne streicheln. Sie entschloß sich, den späten Morgenkaffee auf der Frühstücksterrasse einzunehmen. Sie konnte sich Zeit lassen. Nareike hatte ihr gesagt, daß seine Geschäfte voraussichtlich den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen würden.
Als Sabine nach unten ging, hatte der Mann, der sie heiraten wollte, nach dem ersten Beschwichtigungsanruf in Münchens Hotel ›Regina‹ bereits beim brasilianischen Konsulat zwei Besucher-Visa erhalten, eingetragen in die Reisepässe Sabine Littmann und Gregor Schaffranzky, denn nach Linsenbusch würde nun auch Nareike sterben müssen. Aber Namen wären Schall und Rauch, wenn man eine Million Dollar besäße, oder besser: einskommazwo.
Freilich hatte Hannelores Gegenschlag seinen sorgfältig ausgetüftelten Stufenplan durcheinander gebracht, aber im Improvisieren war ihr Mann schon immer groß gewesen, und so würde er dank dieser Fähigkeit trotz allem in das neue Leben eintreten können. Freilich: Bei seinem Hotelbesuch im ›Regina‹ hatte im ersten Schock über Hannelores hinterhältiges Testament seine spezielle Gabe, spontan zu reagieren, einmal versagt, denn längst bedauerte Nareike, seine Mitwisserin nicht doch vergiftet zu haben. Inzwischen hatte er die Zeitspanne zwischen der Auffindung einer Selbstmörderin und der Eröffnung ihres Testaments beim Nachlassgericht nachgerechnet und war dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß in normalen Fällen an die drei Wochen verstreichen würden. Selbst wenn die Erben auf Beschleunigung drängten, könnte die behördliche Abwicklung nicht viel schneller vorankommen. Ohnedies gäbe es keine Hinterbliebenen, es sei denn, die den Fall untersuchenden Polizeibeamten würden sich als solche betrachten.
Aber bis dahin wäre Linsenbusch, alias Nareike, alias Schaffranzky, längst in Rio eingetroffen und könnte sich in Ruhe und ohne Eile von hier aus sein künftiges Asylland aussuchen. Vielleicht doch nicht Argentinien, hier trieben sich zu viele alte Kameraden herum, womöglich Paraguay oder Uruguay oder Peru.
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