Heißes Versprechen
einschätzen. Er hoffte, dass er brüllte. »Nein, es geht mir nicht gut. Verdammt noch mal, gnädige Frau, ich kann nur zum Himmel beten, dass Sie mich nicht für immer taub gemacht haben.«
3. Kapitel
Die Dämpfe, die durch die geöffnete Tür des Destillierzimmers drangen, rochen nach Essig, Kamille und Holunderblüten. Madeline hielt inne und lugte um die Ecke in das kleine Zimmer.
Mit seiner Ansammlung von Flaschen, Mörsern und Gläsern verschiedener Größen, dazu die reichliche Sammlung getrockneter Kräuter und Blüten, erinnerte Madeline dieses Zimmer stets an ein Laboratorium. Ihre Tante, die sich mit umgebundener Schürze eifrig über eine köchelnde Flasche beugte, hätte man auch für eine närrische Alchemistin halten können.
»Tante Bernice?«
»Einen Augenblick, meine Liebe«, erwiderte Bernice, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. »Ich bin gerade mitten in der Zubereitung eines bestimmten Elixiers.«
Madeline blieb geduldig in der Tür stehen. »Es tut mir Leid, dich unterbrechen zu müssen, aber ich wollte dich in einer sehr wichtigen Angelegenheit um deinen Rat bitten.«
»Selbstverständlich. Nur eine Sekunde noch. Die Wirkung dieser bestimmten Tinktur beruht ausschließlich darauf, wie lange man die Blüten in der Essiglösung belässt.«
Madeline verschränkte die Arme und lehnte sich mit einer Schulter gegen den Türrahmen. Es hatte keinen Sinn, ihre Tante zur Eile zu drängen, wenn sie gerade mit der Zubereitung einer ihrer Tinkturen beschäftigt war. Bernice war es zu verdanken, dass dieser Haushalt vermutlich über die größte
Ansammlung beruhigender Destillate, stärkender Teeaufgüsse, medizinischer Cremes und ähnlichen Dingen in ganz London verfügte.
Bernice hatte eine äußerst leidenschaftliche Beziehung zu ihren Aufgüssen und Elixieren. Sie behauptete, unter schwachen Nerven zu leiden, weshalb sie ständig über therapeutischen Maßnahmen gegen diese Schwäche brütete. Zusätzlich nahm sie sich auch der Heilung anderer mit ähnlichem Leiden an. Für diese fertigte sie,je nach deren Gemütsbeschaffenheit, besondere Essenzen an.
Bernice verbrachte Stunden mit dem Studium alter Rezepte, die Nervenleiden zu heilen versprachen. Sie kannte jeden Arzneimittelhändler der Stadt, ganz besonders die wenigen, die die seltenen Vaganza-Kräuter anboten.
Madeline hätte sich dem Freizeitvertreib ihrer Tante sicherlich als weniger geduldig erwiesen, hätten nicht zwei Dinge zugetroffen. Zum einen zeitigten Bernice’ Heilmittel oftmals eine ganz erstaunliche Wirkung. Der Kräutertee, den sie Nellie am Morgen verabreicht hatte, hatte eine ausgesprochen beruhigende Wirkung auf deren angegriffene Nerven gehabt.
Zum anderen verstand kaum einer besser als Madeline, dass diese Dinge manches Mal dringend vonnöten waren. Die Ereignisse jener dunklen Nacht vor fast einem Jahr waren schlimm genug gewesen, um selbst die kräftigsten Nerven zu schwächen. Und die Besorgnis erregenden Ereignisse der letzten Tage hatten die Sache wieder verschlimmert.
Bernice war Anfang vierzig, eine lebhafte und attraktive Frau mit hoher Intelligenz. Vor Jahren hatte sie eine Rolle in der Gesellschaft gespielt, doch hatte sie deren schillernde Vergnügungen aufgegeben, um sich nach dem Tod von Elizabeth Reed um das noch sehr kleine Kind ihres Bruders zu kümmern.
»Fertig.« Bernice zog die Flasche von der Feuerquelle und schüttete deren Inhalt durch ein Sieb in einen Topf. »Jetzt muss es eine Stunde lang abkühlen.«
Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und wandte sich Madeline zu. Ihre silbrig blauen Augen leuchteten zufrieden. »Was wolltest du mit mir besprechen, meine Liebe?«
»Ich fürchte, Herr Hunt wird sein Versprechen einhalten und uns heute Nachmittag einen Besuch abstatten«, meinte Madeline vorsichtig.
Bernice zog die Augenbrauen hoch. »Uns wird er wohl kaum besuchen kommen, meine Liebe. Du bist es, die er besuchen möchte.«
»Nun gut. Nachdem er uns gestern Nacht sicher nach Hause gebracht hat, hat er mir recht unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mir noch einige Fragen stellen möchte.«
»Fragen?«
Madeline atmete langsam aus. »Aus welchem Grund ich so viel über ihn und seine geschäftlichen Verbindungen weiß.«
»Aber natürlich, meine Liebe. Das kann man dem Mann kaum verübeln. Immerhin hat er sich große Mühe gegeben, bestimmte Aspekte seines Privatlebens zu verheimlichen. Und dann erscheint eines Nachts aus dem Nichts eine Frau, der er noch niemals
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