Heißes Versprechen
Madeline.
Er beachtete sie nicht, sondern sprang die letzten Stufen nach oben und rannte der flüchtenden Gestalt hinterher. Dann hörte er Madeline hinter sich. Zum ersten Mal überkamen ihn Zweifel, ob es richtig gewesen war, sie mitzunehmen. Er hatte einen kurzen Blick auf den Eindringling werfen können, doch hatte das nicht ausgereicht, um festzustellen, ob es sich um einen Mann oder um einen Gassenjungen handelte.
Am Ende des Flurs schlug eine Tür zu. Artemas rannte darauf zu, stellte die Lampe ab und drehte den Türgriff. Dieser ließ sich zwar drehen, die Tür jedoch ließ sich nicht öffnen.
»Der Mistkerl hat etwas Schweres davor gestellt«, wandte er sich an Madeline.
Er lehnte sich mit der Schulter gegen das Türblatt und drückte mit aller Macht dagegen.
»Lassen Sie mich helfen.« Madeline stellte sich neben ihn und presste beide Hände kräftig gegen die Tür.
Artemas fühlte, wie sich die Tür leicht zu öffnen begann, als das Hindernis über den kahlen Boden schleifte. Er hörte, wie sich im Zimmer jemand bewegte.
»Was in aller Welt macht er dort?«, brummte er.
Er versetzte der Tür einen letzten Stoß, und sie öffnete sich weit genug, um ihm einen Einblick in die dunkle Kammer zu gewähren.
»Bleiben Sie hier«, wandte er sich an Madeline, und dieses Mal stellte er sicher, dass sie es als Befehl auffasste.
»Um Himmels willen, seien Sie vorsichtig«, warnte sie, und ihre Stimme hatte dieselbe strenge Schärfe wie seine eigene.
Artemas schnellte in das Zimmer, sich duckend und seitlich gehend, so dass er weniger eine Zielscheibe bot. Instinktiv erinnerte er sich an sein Training und suchte die tiefsten Schatten.
Dennoch war ihm klar, dass er bereits zu spät war. Kühle Nachtluft wehte durch das Fenster, das zu einem winzigen Balkon hinausführte. Ein künstliches Spinnennetz schaukelte in dem leichten Luftzug. Die sehr dünne Gardine plusterte sich im Mondschein unheimlich auf und schien ihn laudos herauszufordern.
Gottverdammter Idiot, dachte Artemas. Wie konnte er annehmen, auf diesem Wege zu entkommen? Es sei denn, er riskierte den tiefen Fall auf den Boden, so war er trotzdem in eine unentrinnbare Falle geraten.
In die Ecke gedrängte Wesen erwiesen sich jedoch oftmals als ausgesprochen gefährlich.
Er schlich um eine erst kürzlich gemalte Leinenkulisse zweier Gespenster, die über einer Grabstelle schwebten. Den Schleier der Spinnweben beiseite schiebend, robbte er sich an das Fenster heran. Jetzt konnte er den kleinen Balkon vollkommen einsehen. Er war leer.
»Dort draußen ist niemand«, flüsterte Madeline aus der Mitte der Kammer. »Er ist verschwunden.«
»Er kann sich glücklich schätzen, wenn er sich beim Fall nicht das Genick gebrochen hat.«
»Ich habe keinerlei Geräusch vernommen.«
Sie hatte Recht.
Artemas trat auf den Balkon hinaus und blickte hinunter. Er konnte keine zusammengekrümmte Figur auf dem Rasen erkennen. Noch entdeckte er jemanden, der hinkend den Waldrand zu erreichen suchte, der sich vor dem selten genutzten Südtor erstreckte.
»Verschwunden«, wisperte sie.
»Unmöglich hat er aus dieser Höhe springen können, ohne sich zu verletzen.« Er trat zurück und sah nach oben. »Ich frage mich, ob er vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen hat.«
»Über das Dach?«
»Möglich wäre es, obwohl er sich dann immer noch der Schwierigkeit stellen müsste, von dort herunterzukommen ...«
Artemas hielt inne, als er mit der Spitze seines Stiefels gegen etwas Weiches, Biegsames stieß. Er sah auf den Boden. Eine Welle der Kälte schlug über ihm zusammen. »Verdammt noch mal.«
Madeline beobachtete, wie er den Gegenstand aufhob, auf den er getreten war. »Was ist es?«
»Das ist der Grund dafür, weswegen der Eindringling sich vor ein paar Minuten nicht den Schädel zertrümmert hat.« Artemas hielt ein Strickseil hoch, an dessen einem Ende ein komplizierter Knoten angebracht worden war. »Dieses Seil hat er sowohl zum Betreten wie auch zum Verlassen des Hauses benutzt.«
Madeline seufzte. »Immerhin wissen wir nun, dass ich kein Gespenst gesehen habe.«
»Ganz im Gegenteil, meiner Ansicht nach können wir uns dessen nicht ganz sicher sein.«
Sie versteinerte. »Was wollen Sie damit sagen?«
Artemas ließ das schwere Seil über seine Handfläche gleiten. »Die Knoten in dieser Strickleiter sind Vanza-Knoten.«
8. Kapitel
Erzählen Sie alles von Anfang an«, forderte Artemas sie auf.
Madeline blickte durch das Fenster der Bibliothek auf
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