Heißes Versprechen
werden Sie mir keinen Gefallen erweisen können.«
»Wer ist dieser Gelehrte, der angeblich den Geist gesehen hat?«
Noch ein etwas unangenehmes Detail, dachte sie. »Lord Linslade.«
»Linslade?« Artemas warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Es ist allgemein bekannt, dass dieser Mann vollkommen verrückt ist. Seit Jahren schon sieht er Gespenster. Wie mir berichtet wurde, unterhält er sich häufig mit seiner verstorbenen Frau.«
»Das ist mir bekannt.« Sie hielt mitten im Gehen inne und sank auf den nächstgelegenen Stuhl. »Glauben Sie mir, obwohl dieser Brief mir einen kleinen Schock versetzte, habe ich ihm keinerlei Bedeutung beigemessen bis ...«
»Bis was?«
»Bis vor vier Tagen, als ich einen Brief von Herrn Pitney erhielt.«
Artemas musterte sie aufmerksam. »Eaton Pitney?«
»Kennen Sie ihn?«
»Ich habe ihn vor Jahren vielleicht ein- oder zweimal gesehen. Auch er ist ein sehr distinguierter Kenner alter Sprachen.«
»So ist es.«
»Wie ich höre, ist Pitney über die letzten Jahre ebenso verschroben wie Linslade geworden.«
»Richtig.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah ihn an. »Zweifelsohne ist er sehr merkwürdig, selbst wenn man die Messlatte der Mitglieder der Vanza-Gemeinschaft zugrunde legt. Seit Jahren glaubt er, er werde von Geistern beobachtet, die er als Fremde bezeichnet. Wie ich hörte, hat er im letzten Jahr sein gesamtes Personal entlassen, weil er sich von Fremden verfolgt fühlte, die sich als Bedienstete ausgaben.«
»Hat Pitney ebenfalls behauptet, Deveridges Geist gesehen zu haben?«, erkundigte sich Artemas ungerührt.
»Nein, Herr Hunt.« Sie trommelte mit den Fingern auf der Armlehne und bemühte sich, ihre arg strapazierte Geduld beizubehalten. »In seinem Brief hat er Gespenster nicht erwähnt.«
Sein Gesichtsausdruck entspannte sich etwas, obwohl sein Blick weiterhin kühl und aufmerksam blieb. »Was genau stand also in dem Brief?«
»Ich werde ihn Ihnen zeigen.«
Sie erhob sich, nahm den Schlüssel von ihrem Hals und ging zu dem Bücherregal, in dem sie das Journal über die Mitglieder der Vanza-Gemeinschaft aufbewahrte. Sie öffnete die Tür und holte eine der Aufzeichnungen heraus, die sie dort hinterlegt hatte.
Sie betrachtete die winzige, dicht gedrängte Schrift und überreichte Artemas kommentarlos den Brief.
Dieser nahm ihn entgegen und las ihn laut vor.
Meine liebe Frau D.,
als ehemaliger Kollege Ihres geschätzten Vaters empfinde ich es als meine Pflicht, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass nach Jahren der Beobachtung aus dem Dunkeln heraus einer der Fremden die Unverfrorenheit besessen hat und in meine
Bibliothek einbrechen wollte. Glücklicherweise ist er dank der Läden und Schlösser davon abgehalten worden.
Die Tatsache jedoch, dass der Fremde sich offenbar Zugang zu meinen Büchern und Aufzeichnungen verschaffen wollte, wirft für mich die Frage auf; ob er möglicherweise für andere Gelehrte dieser alten Sprache eine Bedrohung darstellen könnte. Ihr Vater hat mir seinerzeit anvertraut, er habe Ihnen sein Wissen um die alte Sprache des Vanzagara weitervermittelt. Ebenso ist mir bekannt, dass Sie nach wie vor Winton Reeds Bücher und Unterlagen besitzen. Ich hielt es deshalb für richtig, Sie zu warnen, dass jemand ebendiese Dinge suchen könnte.
Wie Sie vermutlich wissen, kursieren in letzter Zeit Gerüchte um einen alten Vanza-Text, das Buch der Geheimnisse. Selbstverständlich ist das alles Unfug, doch mögen diese Gerüchte den Fremden dazu bewogen haben, aus dem Schatten zu treten und ebendieses Buch zu suchen ...
Artemas faltete den Brief wieder zusammen. Er schien nachdenklich, was Madeline wiederum als gutes Zeichen wertete.
»Mir ist wohl bewusst, dass das noch nicht viel Grundlage bietet«, begann sie vorsichtig. »Ein Brief über einen Geist von einem Mann, von dem bekannt ist, dass er diese ständig zu sehen pflegt. Und dann eine Warnung vor einem Gespenst, das möglicherweise die Bibliothek eines Gentlemans hat aufbrechen wollen, der seit Jahren von seltsamen Ideen geplagt wird. Dennoch kann ich mich nicht dazu hinreißen lassen, diese Warnungen von Pitney und Linslade einfach in den Wind zu schlagen.«
»Sie brauchen das nicht weiter auszuführen, Madeline«, erwiderte Artemas leise. »Ich verstehe jetzt recht gut, was Sie so beunruhigt hat.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie. »Sehen Sie eine Verbindung zwischen diesen beiden Briefen, Sir?«
»Natürlich. Jeder Brief für sich genommen
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