Heisskalte Glut
Guy
kalte Füße bekommen und zu diesem Eiswürfel zurückkehren würde, mit dem er
verheiratet ist, wird Mama doch genug aus ihm herausholen, daß sie auf lange
Zeit gut davon leben kann.«
»Dann müssen wir hier fort«, erwiderte Faith, und eine salzige
Träne rann ihr die Wangen bis zu ihrem Mundwinkel hinunter. »Wir sollten jetzt
packen.«
Jodie klopfte ihr auf die Schulter. »Meine
kleine Schwester, du bist einfach zu leichtgläubig. Gray war zwar irrsinnig wütend,
aber er wird nichts unternehmen. Er hat nur Dampf abgelassen. Ich werde mal bei
ihm vorbeischauen. Vielleicht kann ich ja dasselbe Arrangement mit ihm
aushandeln, das sein Vater mit Mama hatte.« Sie benetzte mit der Zunge ihre
Lippen. Ein gieriger Ausdruck trat in ihre Augen. »Ich wollte schon immer mal
herausfinden, ob das Teil in seiner Hose wirklich so groß ist, wie man
munkelt.«
Faith fuhr zurück. Eifersucht mischte sich in
ihre Verzweiflung. Jodie schien nicht zu sehen, daß ein Schneeball am Äquator
eine bessere Überlebenschance hatte, als daß sie irgendeine Anziehung auf Gray
ausüben konnte. Und doch beneidete Faith sie um ihren Mut, es auf einen Versuch
ankommen zu lassen. Wie stark und selbstsicher mußte man sich fühlen, um auf
einen Mann zuzugehen und sich sicher zu sein, daß er einen anziehend finden
würde. Selbst wenn Gray Jodie abwiese, so würde das ihrer Selbstsicherheit
nicht den geringsten Knacks zufügen. Es gab viel zu viele andere Jungen und
Männer, die es nach ihr gelüstete. Gray wäre nach einer Abfuhr höchstens eine
noch größere Herausforderung für sie.
Aber Faith war an diesem Morgen die kalte
Verachtung in seinem Blick nicht entgangen, mit dem er die Behausung und ihre
Bewohner gemustert hatte. Sie wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
Gern hätte sie ihm gesagt, daß sie nicht wie die anderen war. Sie wollte, daß
er ihr Bewunderung und Achtung entgegenbrachte. Aber in seinen Augen war sie
wie die anderen, weil sie in diesem Loch wohnte.
Fröhlich summend trug Jodie Renees bunten Haufen von Kleidern in
das Hinterzimmer, um sie anzuprobieren und abzustecken, denn Renees Busen war
größer als der ihrer Tochter.
Faith konnte kaum ein Schluchzen unterdrücken, ergriff Scotties
Hand und ging mit ihm zum Spielen nach draußen. Während er seine kleinen Autos im Dreck herumfahren ließ, saß sie mit in
den Händen vergrabenem Gesicht auf einem Baumstumpf. Normalerweise konnte sich
Scottie auf diese Weise einen ganzen Tag beschäftigen, aber heute kam er
bereits nach einer Stunde zu Faith, legte sich vor sie hin und war schon bald
eingeschlafen. Sie strich ihm über die Haare, wobei sie ängstlich die bläuliche
Verfärbung seiner Lippen betrachtete. Sie schaukelte verzweifelt auf dem
Baumstumpf hin und her und starrte vor sich hin. Mama war verschwunden, und
Scottie würde nicht mehr lange leben. Man konnte seinen Tod natürlich nicht
genau vorausbestimmen, aber viel länger als ein Jahr würde es Faiths Ansicht
nach nicht mehr dauern. So schlimm das Leben in dieser Baracke auch immer
gewesen war, so hatte es ihr doch eine Art Sicherheit vermittelt. Wenigstens
wiederholte sich hier alles Tag für Tag, und sie wußte, was sie zu erwarten
hatte. Jetzt aber war alles in die Brüche gegangen, und sie litt unter einer
bodenlosen Angst. Sie hatte gelernt, sich zu arrangieren und mit ihrem Vater
und den Brüdern klarzukommen. Jetzt aber lief überhaupt gar nichts mehr nach
Plan. Sie fühlte sich vollkommen hilflos. Sie haßte dieses Gefühl, sie haßte es
so sehr, daß sich ihr Magen zusammenzog.
Verdammt soll sie sein, meine Mutter, rebellierte sie. Und
verdammt sollte auch Guy Rouillard sein. Sie hatten nur an sich selbst gedacht
und nicht an ihre Familien noch an das Chaos, das sie hinterließen.
Faith empfand sich schon seit langem nicht
mehr als Kind. Bereits sehr früh hatte man ihr Verantwortung aufgebürdet, die
ihren Augen eine ihrem Alter nicht entsprechende Reife verlieh. Jetzt aber
spürte sie schmerzlich ihre Jugend. Sie war zu jung, um irgend etwas zu
unternehmen. Sie konnte sich nicht einfach Scottie schnappen und gehen, sie war
zu jung, um ihnen beiden den Lebensunterhalt zu verdienen. Dem Gesetz nach war
sie auch zu jung, um alleine zu leben. Sie war vollkommen hilflos den
Launen der Erwachsenen um sie herum ausgeliefert.
Sie hatte noch nicht einmal die Möglichkeit
wegzurennen, weil sie Scottie nicht zurücklassen konnte. Keiner würde sich um
ihn kümmern, und er war fast so
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