Heisskalte Glut
ihnen geworden ist.« Für eine Erklärung aus dem Stegreif war
das gar nicht so übel. Mehrheitlich wurden Microfiches in öffentlichen
Bücherhallen ja auch von Personen genutzt, die ihre Familiengeschichte
zurückverfolgten. Das jedenfalls war ihre Erfahrung. Wenn sie daran dachte,
wie rege sich solche Leute über die Resultate ihrer detektivischen Bemühungen
austauschten, schien das Auffinden der Großgroßtante Ruby mütterlicherseits
wahrlich süchtig zu machen.
Sie hatte offenbar den richtigen Tonfall angeschlagen, denn die
Bibliothekarin strahlte. »Viel Glück, meine Liebe, hoffentlich finden Sie
etwas. Mein Name ist Carlene DuBois. Rufen Sie mich, wenn Sie meine Hilfe
brauchen. Allerdings schließen wir um sechs, das ist in einer knappen Stunde.«
»Es dürfte nicht sehr lange dauern«, erwiderte
Faith und durchforstete ihr Gehirn nach einer Familie
DuBois. Aber sie konnte sich an niemanden mit diesem Namen erinnern. Vielleicht
waren die DuBois ja auch erst zugezogen, nachdem die Familie Devlin auf solch
unsägliche Art und Weise fortgejagt worden war.
Sowie die Bibliothekarin gegangen war, durchsuchte
sie schnell Seite für Seite des Prescotter Wochenblatts von dem Tag an, an dem
sie vertrieben worden waren. Sie fand mehrere Eintragungen über Gray. Sie
versuchte sie zu ignorieren, aber es gelang ihr nicht. Obwohl die bereits so
lange zurückliegende Nacht sie von jeglicher Verliebtheit ihm gegenüber geheilt
hatte, hatte sie ihn doch niemals vergessen können. Er war wie ein schmerzender
Zahn, der sich immer wieder in Erinnerung brachte.
Hilflos ihrer Neugierde ausgeliefert, kehrte
sie zu den Stellen zurück, wo sie Grays Namen gelesen hatte. Das Wochenblatt
würde niemals etwas Schlechtes oder Skandalöses über die Rouillards drucken,
das überließ man den Zeitungen in Baton Rouge oder in New Orleans. Es wurde
aber fein säuberlich aufgelistet, wo sich welches Mitglied der Familie wann
aufhielt und den an diesen Dingen interessierten Lesern mitgeteilt. Das war
wohl die Mehrheit. Die ersten beiden Artikel beschäftigten sich lediglich
damit, daß Gray an dieser oder jener Veranstaltung teilgenommen hatte. Der
dritte Artikel stand im Wirtschaftsteil. Faith war davon so überrascht, daß
sie ihn zweimal lesen mußte, um den Inhalt zu begreifen.
Niemand sonst hätte wohl irgend etwas Ungewöhnliches oder
Alarmierendes an dem folgenden Satz gefunden: »... Grayson Rouillard, der den
Vorsitz über die Familiengeschäfte übernommen hat, stimmte gegen die Maßnahme
...«
Der den Vorsitz über die Familiengeschäfte ... Warum
sollte er die Geschäfte übernommen haben? Guy würde doch wohl immer noch
den Vorsitz führen, denn schließlich gehörte ihm alles. Faith blickte auf das Zeitungsdatum. Fünfter August, keine drei
Wochen nach Renees Verschwinden. Was war passiert?
Sie schaltete das Lesegerät aus, lehnte sich zurück und starrte
auf den leeren Bildschirm. Sie war nach Prescott nur zur Klärung einiger weniger Fragen zurückgekehrt. Sie
hatte sich in Prescott vergewissern wollen, daß niemand dort sie vermißt
hatte oder sich auch nur an sie erinnerte, dann wäre auch sie in der Lage, die
Stadt endgültig zu vergessen. Wenn sie dabei Guy Rouillard über den Weg liefe,
um so besser. Sie hatte Gray niemals Vorwürfe für sein Verhalten damals
gemacht, denn sie hatte den Schmerz in seinen Augen und in seiner Stimme
gespürt. Aber Guy, dem machte sie Vorwürfe. Und Renee. Selbst wenn sie nicht
miteinander durchgebrannt waren, so hatte doch Renee ihre Kinder einfach im
Stich gelassen, und Guys Verantwortungslosigkeit hatte ihnen viel Leid
gebracht.
Gray hatte die Familiengeschäfte übernommen. Statt daß sich die
Dinge nun klärten, war eine weitere Frage offen: Warum hatte Gray die
Geschäfte übernommen?
Sie stand auf und schaute sich nach Carlene DuBois um. Sie war
nicht mehr an ihrem Tisch, die ganze Bücherei schien vollkommen leer. »Mrs. DuBois?« rief sie, wobei sich ihre Stimme
in den vielen Bücherreihen verlor. Carlene jedoch hörte sie, denn Faith vernahm
ihre herannahenden Gummisohlen auf dem Kachelboden.
»Hier bin ich«, antwortete Carlene fröhlich
und trat hinter der Handbücherei hervor. »Haben Sie gefunden, was Sie suchten?«
»Ja, vielen Dank. Mir ist allerdings noch etwas aufgefallen, das
mich verwirrt hat. Es war nur ein kleiner Artikel, aber darin stand, daß Gray Rouillard vor zwölf Jahren
die Familiengeschäfte übernommen hat. Das erschien mir etwas merkwürdig,
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