Heisskalte Glut
wäre doch nicht grundlos von seinem Zuhause, seinem
Besitz und seinem Vermögen weggelaufen. Jeder hatte angenommen, daß Renee eben
dieser Grund gewesen war, nur daß Faith jetzt wußte, daß das nicht stimmte.
Selbst wenn er tatsächlich seiner Ehe überdrüssig geworden war, warum hatte er
dann nicht ganz einfach die Scheidung eingereicht? Die Rouillards waren zwar
katholisch, aber eine Scheidung wäre kein Problem gewesen, solange er nicht
wieder hätte heiraten wollen. Auf der anderen Seite hatte er nie den Anschein
eines unglücklichen Mannes gemacht, warum auch? Er hatte sich sein Leben ganz
seinen Neigungen entsprechend eingerichtet. Sie konnte keinerlei Grund finden,
warum er so übereilt und ohne ein Wort zu hinterlassen hätte weggehen sollen.
Ohne jemals zu versuchen, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen.
Sie fand
keine Erklärung. Es sei denn, er lebte nicht mehr.
Die Möglichkeit – nein, die Wahrscheinlichkeit – war erschütternd.
Faith wurde bei dem Gedanken fast übel, während sie weitere Möglichkeiten erwog
und wieder verwarf. Vielleicht hatte er nur ein paar Tage lang wegbleiben
wollen und war dann plötzlich erkrankt oder hatte einen Unfall gehabt. Aber
dann wäre er gefunden und identifiziert worden, und man hätte seine Familie
benachrichtigt. Das aber war nicht geschehen. Guy Rouillard war in derselben
Nacht wie Renee verschwunden.
Hatte Renee ihn umgebracht? Faith setzte sich
auf und fuhr sich durch die Haare. Sie konnte den Gedanken nicht ganz
verdrängen, wenngleich sie eine solche Tat Renee niemals zutrauen würde. Renee
hatte zwar die moralischen Qualitäten einer streunenden Katze, aber sie war
niemals gewalttätig gewesen.
Und Amos? Das konnte sich Faith schon eher
vorstellen. Wenn er glaubte, ungeschoren davonzukommen, dann war Amos zu allem
fähig gewesen. Aber sie konnte sich noch gut an jene Nacht erinnern. Amos war
gegen neun Uhr zu Hause angetorkelt gekommen. Er war sturzbesoffen gewesen und
hatte geflucht, weil Renee nicht zu Hause war. Sowohl Russ als auch Nicky,
ebenfalls betrunken, waren danach nach Hause gekommen. Hätte einer der beiden
allein oder mit Hilfe des anderen Guy Rouillard umgebracht haben können? Doch
Faith hätte schwören können, daß die beiden über Guys Verschwinden genauso
überrascht wie sie gewesen waren. Außerdem war es ihnen wirklich vollkommen
egal gewesen, ob ihre Mutter mit Guy schlief oder nicht. Auch Amos hatte sich
nicht darum geschert.
Wer also kam noch in Frage? Möglicherweise hatte Noelle ihren Mann
umgebracht, weil sie seiner Untreue überdrüssig geworden war. Aber wenn man den
Gerüchten glaubte, so hatte er sie seit Beginn ihrer Ehe betrogen, ohne daß es
ihr etwas auszumachen schien, ja, sie schien es sogar zu befürworten. Seine
Affäre mit Renee hatte bereits Jahre gedauert, warum also sollte Noelle
plötzlich dagegen aufbegehren? Es schien ihr so wenig auszumachen, daß sie ihn
noch nicht einmal dafür tadelte. Warum sollte sie sich also mit einem Mord
belasten? Somit blieb nur einer übrig: Gray.
Sie verwarf diesen Gedanken. Nein, Gray nicht.
Sie erinnerte sich an seinen Gesichtsausdruck, als er sie morgens in ihrer
Baracke besucht hatte, ebenso an sein Gesicht in der darauffolgenden Nacht.
Sie erinnerte sich an seine Wut, seinen unbändigen Haß. Gray war davon
ausgegangen, daß sein Vater mit ihrer Mutter durchgebrannt war. Deshalb war er
so wütend gewesen.
Und dennoch war es Gray, der von Guys Tod am meisten profitiert
hatte. Als Guy nicht mehr da war, hatte er die Führung des Rouillard-Imperiums
übernommen und es sogar noch vergrößert, wie die Bibliothekarin gesagt hatte.
Vom Tage seiner Geburt an hatte man ihn darauf vorbereitet, eines Tages in die
Fußstapfen seines Vaters zu treten. War er des Wartens müde geworden und hatte
Guy aus dem Weg geräumt?
Faiths Gedanken irrten wie wild umher. Plötzlich ratterte die Tür,
weil jemand kräftig dagegenschlug. Sie sprang erschrocken auf. Wer konnte etwas
von ihr wollen? Niemand kannte ihren Aufenthaltsort, also konnte ihr Büro ihr
auch keinerlei Nachrichten zukommen lassen. Sie stand auf und ging auf die Tür
zu, öffnete jedoch nicht. Es gab kein Guckloch. »Wer ist da?«
»Gray Rouillard.«
Fast hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Es
war zwölf Jahre her, daß sie diese tiefe, rauchige Stimme gehört hatte. Die
Knie wurden ihr weich. Aufregung mischte sich mit Angst. Er hatte ihr mehr
Schmerzen zugefügt als sonst ein Mensch auf der ganzen Welt. Und
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