Heisskaltes Verlangen: Team Zero 02
geweckt. Er griff auf den Nachttisch und nahm den Anruf entgegen. Stimmengewirr. Wobei sie Wills Stimme am deutlichsten wahrnahm. Jetzt erst registrierte sie auch die Geräusche vor ihrem Fenster, die sie während ihres traumlosen Schlafes wahrgenommen hatte, aber nicht einordnen konnte.
Achak.
Sie hüpfte aus dem Bett, öffnete das Fenster, worauf der Rabe ins Zimmer flatterte, sich zu Jeffs Füßen niederließ und ihn beäugte. Jeff beendete das Gespräch.
„Was ist?“, wollte sie wissen.
Seinem Ausdruck nach zu urteilen hatte er keine guten Nachrichten. Und je länger er sie auf diese Weise ansah, desto beunruhigender wurde es.
„Annis Laden wurde niedergebrannt.“
Vor Entsetzen und Ungläubigkeit brachte sie kein Wort heraus. Dafür schlug ein Bombardement an unheilvollen Gefühlen und Gedanken in ihr ein.
„Wo ist sie?“
„Annie war nicht da, als der Laden ausbrannte.“
„Aber wo ist sie jetzt?“
Jeff schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Ahnung.“
Sie rannte zum Kleiderschrank, zerrte eine Jeans und ein T-Shirt heraus, und zog sich hastig an. Heißkalt lief es ihr den Rücken hinab. War sie womöglich entführt worden? Von Mutanten? Von Dan?
Schuldgefühle kochten hoch. Während sie sich einen schönen Tag gegönnt hatte, konnte Annie womöglich … Nein, dieser Gedanke war fehl am Platz. Bevor sie das Schlafzimmer verlassen konnte, hielt Jeff sie auf. Stellte sich ihr in den Weg, baute sich vor ihr auf wie eine solide Mauer und griff nach ihren Schultern.
„Wir finden sie“, sagte er mit Nachdruck.
Sie schluchzte. „Wir hätten sie nicht dortlassen dürfen. Jetzt ist Annie weg.“
„Du weißt doch, wie stur sie ist“, sagte Jeff resigniert.
Mit tränenverschleierter Sicht drängte sie sich an ihm vorbei. Hörte ihn derb fluchen, worauf ein dumpfer Schlag gegen den Türrahmen folgte. Sie rannte die Treppe hinunter und stürzte sich auf ihre Handtasche, kramte nach dem Handy. Keine Anrufe. Keine Nachrichten. Sie riss die Schublade der Kommode auf und holte das schwarze Notizbuch hervor, worin sie vor einigen Jahren alle Telefonnummern aufgeschrieben hatte und begann jede Bekannte von Annie anzurufen. Vielleicht war sie bei einer Freundin untergekommen. Nach dem zehnten Anruf nahm ihr Jeff das Handy ab und zog Cass in die Arme.
„Nimm deine Tasche, wir fahren zu Annies Laden. Will und die anderen warten auf uns.“
„Kein Hinweis auf ihren Verbleib.“
„Sie hat das Haus verlassen, bevor es brannte.“
„… kann nicht zu Annies Verstand vordringen.“
„Josy versucht es seit zwanzig Minuten …“
Cass verstand nur Wortfetzen. Sie widmete sich nur dem, was vor ihr lag. Das Haus stand zwar noch, aber das war auch kein Trost. Die gemeinsam gestrichenen Möbel, die Ladentheke, die Glasvitrinen, die selbst gestalteten Traumfänger, alles, woran Annies Herz hing, war zerstört. Ein Schluchzer entfuhr Cass. Der Anblick dieser herzlosen Zerstörung brachte sie um den Verstand. Wieso tat jemand so etwas? Und wieso waren die Bastarde nicht gekommen, um Cass zu holen? Warum Annie, verdammt?
Es zog sie in den Garten, wo noch alles so war, wie Annie es hinterlassen hatte. Sogar eine leere Teetasse stand noch auf dem Tischchen auf dem Rasen. Sie hockte sie sich auf die Steintreppe und legte den Kopf in die Hände. Sie war gerade drei Tage alt gewesen, als Annie sie im Garten der Bibliothek, in der sie gearbeitet hatte, fand. Ein Findelkind. Ausgesetzt. Verwaist. Ungeliebt. Sie hatte sich dem Bündel angenommen. Cass großgezogen. Es hatte nie einen anderenMenschen in ihrem Leben gegeben außer ihrer Großmutter. Selbstverständlich hatte sie Freunde gehabt. Aber Annie war ihre Familie. In allen Lebenslagen war sie für Cass da. Die Erinnerung, wie Annie ihr Lesen und Schreiben beibrachte, hatte Cass noch klar vor sich. Sie erinnerte sich an die vielen Stunden, in denen Annie ihr verschiedene Pflanzen zeigte, ihre Wirkung bei Krankheit, ihre Vielfalt und ihre Schönheit. Cass kannte all die Geschichten auswendig, die Annie erzählt hatte. Das Gefühl ihrer wettergegerbten Hände auf den Wangen. Der Blick aus ihren weisen Augen. Ihr Lachen.
Annie war der beste Mensch, der ihr in ihrem Leben passieren konnte. Ihre Liebe, ihr Vertrauen in Cass hatten sie auf jedem Weg begleitet, wie eine unsichtbare Hand hatte sie sie geführt, ihr zugesprochen, ihr beigestanden. Mit viel Geduld hatte Annie sie zu einem erwachsenen Menschen heranwachsen lassen, ihr dabei immer genug Raum gegeben,
Weitere Kostenlose Bücher