Heiter weiter
Arbeitslose und inzwischen auch Schüler, die ein Praktikum im sozialen Bereich absolvieren wollen. Sie alle lernen Stadtviertel kennen, in denen sie noch nie waren. Sie sind aber auch, das bestätigt Annemarie Dose voller Stolz, »wieder zufrieden mit
ihrem Leben, sie sehen wieder einen Sinn«. Ihr eigenes Leben wäre deutlich grauer, gesteht sie heute ein. Und an ein Ende ihrer Aufgabe, ans Aufhören mag sie gar nicht denken. Für sie ist jeder Lebenstag ein Geschenk. Tut sie doch doppelt Sinnvolles: Einmal versorgt sie mit der Hamburger Tafel Bedürftige mit Essen, das sonst auf dem Müll landen würde. Zum anderen beschäftigt sie Menschen, die sonst keine sinnvolle Tätigkeit mehr haben. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen nennt man das: eine gute Devise für das dritte Leben!
Schwester Lea – Eine starke Frau aus dem Kloster
Ihr Lebensmotto: Solidarität mit Frauen in Not. Ihre Herkunft: nach der Banklehre Eintritt in ein Nonnenkloster. Lea Ackermann heißt sie und wird auch als »Schwester Courage« oder »bekannteste Nonne Deutschlands« bezeichnet. Ihr unverwechselbares Kennzeichen: Keiner kann ihr einen Wunsch abschlagen. Und Wünsche hat die heute 75-Jährige noch viele. Immer geht es um Frauen, die unterdrückt, geschlagen, missbraucht werden. Die keine Zukunft haben, weil sie in einer Gesellschaft ihre Körper verkaufen, in der sie nicht zur Schule gehen durften.
Es beginnt alles 1985 in Kenia. Die katholische Schwester Lea Ackermann wird von ihrem Orden, den Missionsschwestern der Lieben Frau von Afrika, auch »Weiße Schwestern« genannt, nach Mombasa gesandt. Sie soll Lehrerinnen ausbilden, ist aber schockiert von der Lebenssituation der Frauen dort – in der Hochburg des Sextourismus. Gemeinsam mit ihren Schwestern und der Unterstützung
durch Spenden und Zuschüsse aus Deutschland beginnt sie, den einheimischen Frauen eine andere Tätigkeit zu organisieren. Sie backen, kochen, nähen, und aus dem Verkauf der Produkte können sich die Frauen allmählich selbst ernähren und müssen sich nicht mehr prostituieren. Das ist die Keimzelle von Solwodi, von Solidarity with Women in Distress.
Zurück in Deutschland, entdeckt die durch dieses Thema sensibilisierte Nonne, dass es auch in ihrem Lande Hunderttausende von Frauen aus anderen Ländern gibt, die als Zwangsprostituierte für Mafia-ähnliche Männergruppen arbeiten. Schwester Lea gründet Solwodi Deutschland. Organisiert für die Frauen psychosoziale Betreuung, juristische Unterstützung, Integrationshilfe, beschafft aber auch verdeckte Wohnungen und manchmal eine neue Identität. Damit die Frauen nicht abgeschoben werden, bevor sie vor Gericht gegen ihre Peiniger aussagen können. Auch das Projekt »Rückkehrhilfen« entsteht, denn die meisten Frauen wollen nach den bitteren Erfahrungen, die sie in Deutschland machen mussten, wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Hier hat Schwester Lea die Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gewinnen können. »Manche Schwestern in meinem Orden denken, dass unsere Hauptaufgaben nach wie vor in Afrika liegen. Aber die Afrikanerinnen sind inzwischen hier. Hier in Deutschland müssen wir uns um sie kümmern«, erklärt die engagierte Klosterschwester.
Dass sich bei einer Nonne Privates und Berufung verbinden, scheint normal. Aber bei Schwester Lea ist das auf ganz besonders beglückende Weise gelungen: Auf der
Suche nach Büros und Räumen für Solwodi Deutschland hat ihr ein befreundeter Pfarrer, Professor Fritz Köster, sein Pfarrhaus angeboten. Hoch droben über dem Rhein, in Hirzenach bei Boppard. Zwar erklärt er manchmal, dass er verzweifelt wegen der Ausbreitungstendenzen von Solwodi und den dort arbeitenden Frauen um den Erhalt seines eigenen Zimmers ringen würde. Das meint er aber eher liebevoll. Denn auch ihn versorgt Schwester Lea – mit einer fein abgestimmten Diabetes-Diät. »Ohne Schwester Lea würde ich sicher nicht mehr leben«, gesteht der heute 78-jährige Pfarrer dann auch ein. Ganz zu schweigen davon, dass ihn der Wirbel mit den Mitarbeiterinnen von Schwester Lea, den vielen Problemen und spannenden politischen Themen ja auch weiter am aktiven Leben teilnehmen lässt.
Noch ein zweites Glück verbindet die beiden Kirchenleute: Schwester Lea musste vor rund 20 Jahren Pater Fritz nicht lange überzeugen, als es um die Zukunft von zwei kleinen Babys ging: Trixi und Jojo. Beide Mütter konnten sich nicht um ihre Kinder in Deutschland kümmern. Die
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