Heiter. Weiter.
geschlossen. Für immer.
Mancher Pilger ist jetzt Urlauber, im alten Trott und ohne Lächeln
Durch die Gassen von Santiago spazieren Urlauber. Ihre Gesichter kommen mir bekannt vor. Sie erinnern an Pilger, die ich unterwegs getroffen hatte. Meist sieht man sie zu zweit oder zu viert. Sie sind zweckmäßig, aber gut gekleidet im Partnerlook. Sie trägt die grauen Haare sportlich kürzer, er seine grauen Haare salopp etwas länger. Man könnte sie verwechseln mit Urlaubern. Angst vor Dieben lässt sie ihre kleine Taschen fest an den Leib drücken. Grußlos gehen sie vorbei, fürchten den Blickkontakt. Sie haben den Jakobsweg verlassen, sie sind wieder im alten Trott. Unterwegs beherrschten sie die gesamte Palette von Smalltalk bis zur Ausbreitung der Lebensgeschichte - jetzt haben sie nicht mal ein Lächeln übrig.
Lächeln gibt es in den Markthallen gratis. Wer sich Pilgermuscheln kaufen möchte, findet authentische. T-Shirts mit dem gelben Pilger-Pfeil und andere Souvenirs sind hier meist preiswerter zu erhalten als in der Innenstadt. Auch ein enges Lokal freut sich über Besuch. Frisch werden die gewünschten Fische, Schalen- und Krustentiere zubereitet. Die Brieftasche sollte aber nicht so schmal wie das Lokal sein. Aber ein Kaffee, Bier oder Wein ist nicht teuer. Dazu gibt es Kichererbseneintopf. Gratis. Ich kaufe mir vom Gemüsestand dicke weiße Bohnen. Die kommen zu Hause aber nicht in den Topf, sondern ins Beet.
An der Kathedrale ist das Symbol von Anfang und Ende, A & O, zu sehen. Halt, hier ist es vertauscht: O & A -Ende und Anfang! Wollte der Künstler darauf hinweisen, dass nach dem Ende ein neuer Anfang beginnt? Oder zeigt es unseren Jakobsweg mit dem Anfang geografisch rechts im Osten und dem Ende links im Westen? Abends spielen gegenüber der Kathedrale schwarzrot gekleidete Musiker auf. Sie verstehen, ihr Publikum zu gewinnen. „Clavelitos“ und „Ojos negros“ sind auch dabei. Danke!
Ich bin in Stimmung für einen Absacker in der „Taberna Oxachegon“ in der Rúa de Algalia de Abaixo 27, einer dunklen, aber ungefährlichen Gasse. Keine Reklame weist den Weg - man erkennt das Lokal erst, wenn man davor steht. Das Restaurant ist stets gut von jüngeren Einheimischen besucht. Die Gerichte sind nicht teuer. Willkommen ist auch, wer an der Theke ein Glas Wein „una copa“ oder Bier „una caña“ trinken möchte. Bei meinem ersten Besuch spielte Patrick Gitarre. Der Ire arbeitete als Lehrer in Santiago. Ich hoffte, ihn erneut zu treffen. Ich habe ihn leider nur wiedergesehen: Sein Porträt hängt an der Wand: Patrick ist gestorben.
Auf dem Rückweg lausche ich lange den Musikern vor der Kathedrale: „Bésame, bésame mucho, como si fuera esta noche la última vez.” Küsse mich, küsse mich sehr, als ob es diese Nacht das letzte Mal wär. Küsse mich mehr, weil ich Angst habe, dich zu verlieren, wieder zu verlieren.
Nach einer langen Wanderung lässt es sich leicht auf Luxus verzichten
Mit dem Rücksack auf dem Rücken mache ich mich heute erneut auf zum „Hostal de los Reyes Católicos“ in Santiago de Compostela. Doch ich möchte mich nicht an einem kostenlosen Mittagsessen laben, dafür ist es auch zu dieser Stunde bereits zu spät. Mein Weg führt mich in das Hotel hinein, direkt zur Rezeption. Ich werde hier übernachten!
Einmal im Leben möchte ich mir eine Nacht im Bett eines Parador-Hotels gönnen. Dafür muss ich auch tief in die Tasche meiner Wanderhose greifen: zweihundert Euro verlangt man hier für eine Übernachtung. Zweihundert Euro - ich glaube, so viel habe ich für alle Übernachtungen in den Herbergen von Roncesvalles bis nach Santiago ausgegeben ...
„Hostal de los Reyes Católicos“ - wie der Name verrät, hatten die katholischen Könige Isabella und Ferdinand dieses Gebäude mit königlichen Ausmaßen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts als Pilgerherberge gestiftet. Heute befindet sich darin ein vielsterniges Luxushotel, zumindest vom Preis her.
An der Rezeption, geschmückt mit der Darstellung Jakobs als Maurentöter, schultert nun ein „Boy“ meinen Rucksack. Das Gewicht bereitet ihm kein Problem. Ob er schon gepilgert ist?
Vorbei geht es an Antiquitäten, der Vitrine mit den Rolex-Uhren und dem Innenhof zum Aufzug. Endlos scheinen die gemäldebehangenen Flure. Werde ich mich auch nicht verlaufen, so ganz ohne Muschelmarkierungen und den gelben Pfeilen?
Das Zimmer, mit gewienerten Holzdielen und dazu passenden Türen, ist selbstverständlich gediegen.
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