Held zum Verlieben
freigelassen zu werden. Ganz offensichtlich kümmerte es diese Leute wenig, ob er lebte oder starb.
Er zuckte nervös zusammen, als er spürte, wie sich etwas auf seiner Hüfte niederließ und anfing, herumzukrabbeln. Voller Entsetzen dachte er daran, dass es sich möglicherweise um eine Fliege handeln könnte, die einen geeigneten Platz zur Eiablage suchte. Er schauderte bei dem Gedanken. Maden! Was, wenn die Wunde an seiner Hüfte von Maden durchsetzt wäre?
Verzweifelt versuchte er, sich zu befreien und hielt mit seinen Bemühungen erst inne, als er Schritte vernahm. Gleich darauf hörte er das Quietschen der Türangel und er wusste, dass seine Peiniger zurückgekehrt waren. Würden sie ihn nun endlich freilassen? Oder hatte sein letztes Stündchen geschlagen?
Ein stummer Schrei erfüllte sein Inneres. Er roch etwas, was ihn an Orangen erinnerte, spürte wieder den ihm inzwischen nur allzu bekannten Stich einer Injektionsnadel und glitt zurück in die Bewusstlosigkeit. Das Letzte, was er vernahm, war ein Geräusch, das ihm irgendwie sehr bekannt vorkam, doch bevor er sich darauf besinnen konnte, was genau es war, glitt er wieder ins Reich der Träume.
Jack schlief ruhelos, warf sich stöhnend von einer Seite zur anderen. Im Schlaf kamen die Erinnerungen, die er während des Tages stets verdrängt hatte. In seinen Träumen war er wieder der kleine Junge, der in seinem kurzen Leben Grauenhaftes erlebt hatte. Sein Vater Joe Hanna hatte ihn dazu gebracht, sich wie eine ungeliebte Ratte zu fühlen, erfüllt von Leid und ständig hungrig.
Das Unwetter, das draußen tobte, schien Teil seines Traumes zu sein. Donnergrollen, pfeifender Wind und Blitze, die den Himmel zerrissen. Auch als Rachel anfing zu weinen, ging das unter im Gebrüll von Joe Hanna. Jack hörte nicht, wie Charlie über den Flur in das Zimmer der Kleinen lief. Schließlich jedoch, als im Haus plötzlich wieder Stille einkehrte, wurde er wach und setzte sich schweißgebadet, mit rasendem Herzen auf. Er brauchte einige Sekunden, um sich zurechtzufinden, in die Gegenwart zurückzukehren und zu erkennen, dass sein Vater, den er seit über dreiundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte, ihm nichts mehr anhaben konnte.
Er hörte Charlies leise beruhigende Stimme aus dem Kinderzimmer auf der anderen Seite des Flurs, er hörte Wades beständiges Schnarchen und all die anderen Geräusche, die zum Haus gehörten. Jack stand auf und zog sich etwas über. Er brauchte frische Luft.
Der Wind peitschte sein Gesicht, als er nach draußen auf die Veranda trat. Jack atmete tief ein und bot ihm trotzig die Stirn.
Nachdem Rachel wieder eingeschlafen war, wollte Charlie zurück in ihr Zimmer gehen. Sie spürte einen Luftzug und glaubte, ein Fenster aufgelassen zu haben. Bei dem Unwetter sollte sie es lieber schließen, sonst würde es noch ins Haus regnen.
Sie hatte nicht erwartet, die Haustür offen vorzufinden, und war überrascht, ihren Hausgast draußen auf der Veranda stehen zu sehen.
„Jack?“
Er zuckte zusammen.
„Hat Rachels Weinen Sie geweckt?“
Er antwortete nicht.
Sie trat hinaus auf die Veranda. „Ist alles in Ordnung?“ Er sah so verloren aus.
„Ja, klar.“ Er wollte, nein, er musste jetzt allein sein. Wenn sie doch nur gehen würde.
„Sind Sie sicher, dass …“
Jack vergrub die Hände in den Hosentaschen, um zu verhindern, dass er die Arme um sie legen, sie an sich ziehen und einen Narren aus sich machen würde.
„Sicher? Ob ich sicher bin? Charlotte, das Einzige, was auf dieser Welt sicher ist, ist, dass das Leben einem die Zähne ausschlägt, wenn man auch nur lächelt.“
Die Vehemenz, mit der er das hervorbrachte, erschütterte Charlie. Er klang so verbittert, so verloren.
„Geht es um Ihren Partner, um den, der erschossen wurde?“
„Es geht hier um gar nichts“, entgegnete er barsch und trat von der Veranda runter auf den Rasen. Er hatte keine Schuhe an, und daher entfernte er sich nicht allzu weit. Schlangen waren für gewöhnlich nachts unterwegs, und er hatte nicht vor, sich beißen zu lassen.
Charlie zögerte nur kurz, dann folgte sie ihm. Behutsam legte sie die Hand auf seinen Arm. „Sie sollten nicht ohne Schuhe hier draußen sein.“
„Sie aber auch nicht.“ Jack seufzte frustriert und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Hören Sie, ich konnte nicht schlafen. Ich wollte einfach nur ein wenig frische Luft schnappen. Das ist alles.“
Der Sturm wurde heftiger, ein Blitz jagte, den nächsten und
Weitere Kostenlose Bücher