Heldenklingen
als dem gefiel.
»Haben Sie ein Problem damit? Sagten Sie nicht, man hätte Sie wegen Diebstahls verurteilt?«
»Ich habe auch gesagt, dass ich es gar nicht war!«
»Genau das, was ein Dieb auch behaupten würde! Das ist kein Raub, Dotter, das ist Krieg.« Der Nordmann hatte ein paar Streifen getrocknetes Fleisch bei sich, die Tunny ihm abnahm. Auch Feuerstein und Zunderbüchse steckte er ein. Geld hatte der Mann keins, aber das war wenig verwunderlich; Münzen hatten sich hier oben noch nicht recht durchgesetzt.
»Er hat eine Klinge!«, quiekte Dotter und wedelte mit seinem Bogen.
»Ein Kürschnermesser, Sie Idiot!« Tunny nahm es dessen ungeachtet an sich und schob es in den eigenen Gürtel. »Wir werden es mit etwas Karnickelblut bekleckern, behaupten, dass es einem namhaften Mann gehörte, der in der Schlacht fiel, und ich wette, dass uns das zu Hause in Adua irgendein Trottel abkauft.« Er nahm dem Nordmann auch Bogen und Pfeile weg. Schließlich wollte er nicht, dass der Kerl aus reiner Gehässigkeit später auf sie schoss. Er sah ein bisschen gehässig aus, aber so hätte Tunny selbst vermutlich auch ausgesehen, wenn man ihn gerade ausgeraubt hätte. Zweimal, noch dazu. Er dachte darüber nach, ihm auch den Mantel abzunehmen , aber der war schon sehr ramponiert und sah außerdem so aus, als habe er ursprünglich einmal einem Unionisten gehört. Tunny hatte vor einiger Zeit um die zwanzig neue Mäntel aus dem Lager des Quartiermeisters von Ostenhorm geklaut und war sie noch nicht alle losgeworden.
»Das war’s«, knurrte er und machte einen Schritt zurück. »War kaum der Mühe wert.«
»Was machen wir denn jetzt?« Dotters großer Flachbogen wackelte in alle möglichen Richtungen. »Soll ich ihn erschießen?«
»Sie blutrünstiger kleiner Drecksack! Wieso sollten Sie das tun?«
»Na ja … wird er nicht seinen Freunden auf der anderen Seite dieses Flüsschens erzählen, dass wir hier sind?«
»Seit über einem Tag sitzen – lassen Sie mich schnell nachrechnen – um die vierhundert Männer hier im Sumpf. Glauben Sie, dass Häcke der Einzige war, der seitdem hier herumgeschlichen ist? Die wissen, dass wir hier sind, Dotter, darauf können Sie wetten.«
»Also … dann lassen wir ihn einfach laufen?«
»Wollen Sie ihn vielleicht lieber mit ins Lager nehmen und als Haustier halten?«
»Nein.«
»Wollen Sie ihn erschießen?«
»Nein.«
»Also?«
Einen Augenblick standen die drei einfach nur in der heraufziehenden Dämmerung da. Dann senkte Dotter den Bogen und machte eine Handbewegung. »Verpiss dich.«
Tunny deutete mit dem Kopf zum Wald. » Hopp hopp , mach schon.«
Der Nordmann blinzelte kurz. Erst warf er Tunny einen finsteren Blick zu, dann Dotter, und schließlich schlich er unter zornigem Brummen zum Wald.
»Herz und Verstand«, murmelte Dotter.
Tunny schob das Messer des Nordmanns innen in seinen Mantel. »Ganz genau.«
GUTE TATEN
D ie Häuser von Osrung rückten um Kropf zusammen und blickten drohend auf ihn herab – als hätten sie alle blutige Geschichten zu erzählen, als gäbe jede neue Straßenecke den Ausblick auf weiteres Elend preis. Einige Gebäude waren ausgebrannt, die verkohlten Dachbalken rauchten noch, und in der Luft hing ein scharfer Geruch von Zerstörung. Leere Fenster gähnten ihnen entgegen, die Läden waren mit abgebrochenen Pfeilschäften gespickt und von Axtschlägen zernarbte Türen schwankten in ihren Angeln. Das fleckige Pflaster war mit Müll übersät, aber auch mit zuckenden Schatten und Leichen, mit kaltem Fleisch, das einst lebendig gewesen war und nun an den nackten Fersen dorthin geschleift wurde, wo es wieder zu Schlamm werden sollte.
Carls mit grimmigen Gesichtern beobachteten die seltsame Prozession, die an ihnen vorüberzog. Sechzig verletzte Unionssoldaten stolperten vor Caul Espe her, der sie im Auge behielt wie ein Wolf eine Schafherde, während Kropf sie mit seinem schmerzenden Knie anführte, neben sich die junge Frau.
Er merkte, dass er sie immer wieder von der Seite ansah. Man bekam ja nur selten eine Frau zu Gesicht. Herrlich natürlich, klar, aber das war ja nicht ganz dasselbe. Sie hätte ihm für so einen Spruch vermutlich einen kräftigen Tritt in die Nüsse verpasst, und genau das war eben auch der Unterschied. Diese Frau war eine richtige Frau, noch dazu eine hübsche. Obwohl sie am Morgen dieses Tages sicherlich noch hübscher ausgesehen hatte, genau wie Osrung. Der Krieg macht nichts schöner. Ihr Haar war mit Blut verkrustet
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