Heldenklingen
verteidigen. Wenn ein Messer im Dunkeln vonnöten ist, vergebe ich einen solchen Auftrag lieber anderweitig und halte meinen eigenen Namen sauber.« Reichel sah nicht besonders schuldbewusst aus. Eher verärgert. Sogar ein wenig beleidigt. »Guck mich doch nicht so an, als seist du wer weiß wie enttäuscht. Tu doch nicht so, als hättest du nicht schon Schlimmeres getan. Wie war das noch mit Forley dem Schwächsten, hm? Den hast du wegen nichts und wieder nichts umgebracht, oder?«
»Ich bin nun einmal so!«, erklärte Calder. »Jeder weiß, dass ich ein Lügner bin. Ich denke, ich hatte von dir …« Jetzt, da er es aussprach, klang es blöd. »Ich hatte von dir etwas Besseres erwartet. Ich dachte, du seist aufrecht und ehrlich. Dachte, du würdest die Dinge nach alter Art regeln.«
Reichel schnaubte verächtlich. »Nach alter Art? Ha! Die Leute kriegen immer schrecklich feuchte Augen, wenn sie an die alten Zeiten denken. Das Zeitalter der Helden und so. Tja, ich erinnere mich an die alten Zeiten, ich habe sie erlebt, und da war auch nichts anders als heute.« Er beugte sich vor und stupste Calder mit dem Stiel seiner Pfeife an. »Schnapp dir, was du kriegen kannst, sobald du es kriegen kannst! Die Leute erzählen ja gerne, dass sich alles änderte, als dein Vater die Herrschaft übernahm. Sie brauchen einen Sündenbock. Aber er war einfach nur besser als die anderen. Die Sieger singen später die Lieder. Und sie bestimmen, nach welcher Pfeife getanzt wird.«
»Ich kann dir sagen, nach welcher Pfeife du ab jetzt tanzen wirst!«, zischte Calder, und kurz brach sein Zorn sich Bahn. »Aber Zorn ist ein Luxus, den sich der Mann auf dem Thron nicht leisten kann.« Das hatte sein Vater immer gesagt. Großmut, Großmut, denke immer an Großmut. Calder atmete tief und schmerzhaft ein und stieß die Luft dann resigniert wieder aus. »Aber vielleicht hätte ich nicht anders gehandelt, wenn ich in deiner Haut gesteckt hätte, und ich habe viel zu wenige Freunde. Es ist nun einmal so, dass ich deine Unterstützung brauche.«
Reichel grinste. »Und du hast sie. Bis in den Tod, mach dir deswegen keine Sorgen. Du gehörst zur Familie, mein Junge. Innerhalb der Familie mag man sich nicht immer verstehen, aber letztlich sind deine Verwandten stets die Einzigen, denen du vertrauen kannst.«
»Das hat mir mein Vater auch immer gesagt.« Calder erhob sich langsam und stieß noch einen tiefen, schmerzgeplagten Seufzer aus, der aus tiefstem Herzen kam. »Familie.« Und er ging an den Feuern vorbei zu dem Zelt, das zuvor dem Schwarzen Dow gehört hatte.
»Und?«, krächzte Espe, der zu ihm aufschloss.
»Du hattest Recht. Der alte Sack hat versucht, mich umzubringen.«
»Soll ich ihm dieselbe Gnade erweisen?«
»Bei den Toten, nein!« Calder zwang sich, wieder leiser zu sprechen, während sie weitergingen. »Nicht, bevor mein Kind auf der Welt ist. Ich will nicht, dass meine Frau sich aufregt. Lassen wir erst einmal Gras über die Sache wachsen und kümmern uns dann später in aller Stille darum. So, dass wir die Schuld jemand anderem zuschieben können. Glama Golding vielleicht. Bekommst du das hin?«
»Wenn es ums Töten geht, kann ich das auf jede Art erledigen, die du gern hättest.«
»Dow hätte viel bessere Einsatzmöglichkeiten für dich finden können, das habe ich schon immer gesagt. Aber nun wartet meine Frau auf mich. Geh und amüsier dich.«
»Mach ich vielleicht auch.«
»Was tust du eigentlich, wenn du dich amüsieren willst?«
Ein seltsames Schimmern lag in Espes Auge, als er sich abwandte, aber das war meistens so. »Ich wetze meine Messer.«
Calder war sich nicht sicher, ob das ein Witz gewesen war.
NEUE GESICHTER
Sehr geehrte Frau Werth,
mit dem größten Bedauern muss ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass Ihr Sohn auf dem Feld der Ehre in der Nähe von Osrung gefallen ist.
Eine solche Mitteilung übernimmt üblicherweise der befehlshabende Offizier, doch da ich Ihren Sohn persönlich kannte, habe ich selbst um diese Ehre gebeten, und während meiner langen Dienstjahre habe ich keinen Kameraden gehabt, der dienstbeflissener, freundlicher, fähiger und mutiger gewesen wäre als Ihr Sohn. Ich weiß nicht, ob meine Worte Ihnen im Angesicht eines so großen Verlustes Trost spenden können, aber es ist keine Übertreibung, wenn ich Ihnen sage, dass Ihr Sohn den Heldentod gestorben ist. Es war mir eine Ehre, seine Bekanntschaft machen zu dürfen.
Mein herzlichstes Beileid.
Ihr ergebener Diener,
Korporal
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