Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
das Fackellicht fiel auf einen dritten.
    »Man sagt ja, der Krieg sei eine schreckliche Geißel, aber ich denke mal, die Totengräber sind da ganz anderer Ansicht.«
    Das letzte Grab war noch nicht komplett aufgefüllt worden. Calder bekam eine Gänsehaut, als die Fackel etwa fünf Schritt von seinem Rand beleuchtete. Wie weit es sich noch in der Dunkelheit erstreckte, war nicht zu erkennen. Gründig trat näher und sah nach unten. »Puh.« Dann bohrte er den Stiel der Fackel in die weiche Erde, wandte sich um und winkte Calder zu sich heran. »Na komm schon. Es ändert nichts, wenn du langsam gehst.«
    Hohl gab ihm einen kleinen Schubs, und Calder tappte zögernd voran. Mit jedem langen Atemzug schnürte sich seine Kehle weiter zu, während bei jedem unsicheren Schritt mehr und mehr von den Grubenrändern in sein Sichtfeld rückte.
    Erde, Kiesel, Getreidewurzeln. Dann eine bleiche Hand. Dann ein nackter Arm. Dann Leichen. Dann noch mehr. Die Grube war voller Toter, grauenvoll ineinander verschlungen und aufeinander gehäuft. Die Hinterlassenschaft der Schlacht.
    Die meisten waren nackt. Von allem entledigt. Würde irgendein Totengräber später Calders guten Mantel tragen? Dreck und Blut sahen bei dieser Beleuchtung gleich aus. Schwarze Schmiere auf toter, weißer Haut. Schwer zu sagen, welche der verdrehten Arme und Beine zu welchen Körpern gehörten.
    Waren das vor ein paar Tagen noch Menschen gewesen? Männer mit Plänen, Zielen, Hoffnungen und Dingen, die ihnen am Herzen lagen? Ein ganzer Berg von Geschichten, mittendrin unterbrochen, ohne Ende. Der Lohn eines Helden.
    Er fühlte etwas Warmes an seinem Bein und merkte, dass er sich in die Hosen gepisst hatte.
    »Keine Sorge.« Gründig sprach ganz sanft, wie ein Vater, der ein ängstliches Kind beruhigen will. »Das kommt oft vor.«
    »Haben wir alle schon erlebt.«
    »Und noch viel mehr.«
    »Du bleibst hier stehen.« Hohl packte Calder an den Schultern und drehte ihn so, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als hilflos in die schreckliche Grube hinabzublicken. Man mag immer gar nicht glauben, dass man widerstandslos alles tut, was einem gesagt wird, wenn man dem Tod entgegensieht. Aber so ist es. »Ein bisschen weiter nach links.« Hohl stupste ihn leicht nach rechts. »Das ist doch links, oder?«
    »Das ist rechts, du Idiot!«
    »Scheiße!« Hohl stieß etwas heftiger zu, und Calder glitt am Grubenrand aus, so dass seine Absätze ein paar Brocken Erde lostraten, die auf die Leichen hinunterrollten. Gerade noch rechtzeitig hielt Hohl ihn fest und stellte ihn wieder auf die Beine. »Hierhin?«
    »Dahin, genau«, nickte Gründig. »Also, dann hätten wir’s.«
    Calder stand da, sah auf die Grube hinunter und begann still zu weinen. Seine Würde war ihm längst egal. Er würde bald ohnehin keine mehr haben. Er fragte sich, wie tief die Grube sein mochte. Mit wie vielen anderen Toten er sie teilen würde, wenn die Arbeiter am nächsten Morgen die Werkzeuge zur Hand nahmen und sie mit Erde füllten. Hundert? Zweihundert? Mehr?
    Er starrte die Gestalt an, die ihm direkt zu Füßen lag, und in deren Hinterkopf eine große, schwarze Wunde klaffte. In dessen Hinterkopf, verbesserte er sich, obwohl er sich schwer vorstellen konnte, dass das da unten einmal ein Mensch gewesen war. Es war ein Ding, aller Identität beraubt. Aller Identität … wobei …
    Das Gesicht gehörte dem Schwarzen Dow. Sein Mund stand halb offen und war voller Dreck, aber es war ganz ohne Zweifel wirklich der Bewahrer des Nordens. Beinahe sah es so aus, als ob er lächelte und einen Arm ausgestreckt hatte, um Calder willkommen zu heißen wie einen alten Freund. Wieder zu Schlamm geworden, im wahrsten Sinn des Wortes. So schnell kann das gehen. Vom Herrscher über alles zu einem verrottenden Stück Fleisch in einem Loch.
    Tränen krochen über Calders heißes Gesicht, schimmerten im Fackelschein und tropften schließlich in die Grube, wo sie frische Schmierspuren auf der dreckigen, kalten Wange des Schwarzen Dow hinterließen. Der Tod im Schildkreis wäre schon eine Enttäuschung gewesen. Aber wie viel schlimmer war das hier? Wenn man ihn einfach in ein Loch warf und es zuschüttete, ohne dass jene, die ihn geliebt oder vielleicht auch gehasst hatten, später wissen würden, wo er begraben lag?
    Er schluchzte jetzt wie ein kleines Kind, der schmerzende Brustkorb bebte, die Grube und die Leichen verschwammen hinter der salzigen Flüssigkeit.
    Wann würden sie es tun? Sicherlich war es jetzt so

Weitere Kostenlose Bücher