Heldenklingen
behalten, auch wenn er davon ausgehen konnte, unter Freunden zu sein. In diesen Tagen schien er stets auf einem verdammt schmalen Grat zu wandeln, und er konnte es sich nicht leisten, ins Wanken zu kommen. Auf beiden Seiten ging es steil hinab, und in der Tiefe wartete kein weiches Kissen.
Reichel nahm einen Zug, ließ ein paar kleine, braune Rauchringe entweichen und sah zu, wie sie sich allmählich auflösten. »Wie steht es um meine Tochter?«
»Sie ist die beste Frau der Welt.« Er musste nicht einmal lügen.
»Du weißt immer, was du sagen musst, nicht wahr, Calder? Ich würde dir nicht widersprechen. Und mein Enkel?«
»Zwar immer noch ein bisschen zu klein, um uns auf diesem Feldzug gegen die Union zu unterstützen, aber er wächst. Man kann seine Tritte fühlen.«
»Ich kann es kaum glauben.« Reichel blickte in die Flammen und schüttelte langsam den Kopf, kratzte sich dann mit den Fingernägeln über die weißen Bartstoppeln. »Ich und Großvater. Ha! Mir kommt es vor, als sei ich gestern selbst noch Kind gewesen. Und heute Morgen sah ich, wie Seff im Bauch ihrer Mutter trat. Es geht alles so schnell vorbei. Das Leben rauscht vorüber, und man merkt es kaum, wie Blätter auf dem Wasser. Genieße die kleinen Augenblicke, mein Sohn, das rate ich dir. Sie machen das Leben aus. All die Dinge, die passieren, während du auf etwas anderes wartest. Ich habe gehört, der Schwarze Dow will deinen Tod.«
Calder versuchte zu verbergen, wie hart ihn der unverhoffte Themenwechsel getroffen hatte, aber es gelang ihm nicht. »Wer sagt das?«
»Der Schwarze Dow.«
Das war keine große Überraschung, aber es so klar und deutlich ausgesprochen zu hören, trug nicht gerade dazu bei, Calders blank liegende Nerven zu beruhigen. »Er wird es wohl wissen.«
»Ich denke, er hat dich wieder hierher beordert, damit er selbst eine Möglichkeit dazu findet oder jemand anders sie ergreift, der sich bei ihm einkratzen möchte. Er geht vermutlich davon aus, dass du beginnen wirst, Ränke zu schmieden und Leute gegen ihn aufzuwiegeln, um ihn wieder vom Thron zu stoßen. Dann wird er es herausfinden und dich mit Fug und Recht aufknüpfen können, ohne dass sich jemand groß deswegen beklagen kann.«
»Er meint also, wenn er mir ein Messer reicht, dann werde ich mich selbst um die Ecke bringen.«
»So ähnlich.«
»Vielleicht habe ich flinkere Finger, als er glaubt.«
»Das hoffe ich sehr. Ich will damit nur sagen, falls du dir ein paar Winkelzüge überlegt hast, dann sei dir bewusst, dass er damit rechnet und nur darauf wartet, bis du einen Fehler machst. Immer vorausgesetzt, dass er die Leisetreterei nicht irgendwann satt hat und Caul Espe schlicht den Befehl gibt, seine Axt an deinem Hirn zu schärfen.«
»Da gäbe es einige Leute, denen das gar nicht recht wäre.«
»Das stimmt. Ohnehin ist schon der halbe Norden allmählich unzufrieden. Zu viel Krieg. Zu viele Steuern. Der Krieg hat in unserem Land natürlich durchaus Tradition, aber Steuern waren nie besonders beliebt. Dow muss in diesen Tagen Rücksicht auf die Stimmung im Volk nehmen, und das weiß er. Aber es wäre nicht klug, auf die Geduld des Schwarzen Dow zu setzen. Er ist kein Leisetreter.«
»Aber ich, willst du damit sagen?«
»Es ist nicht verkehrt, leise aufzutreten, mein Junge. Wir mögen große, dumme Kerle hier im Norden, Männer, die im Blut waten und dergleichen. Wir machen Lieder über sie. Aber diese Männer allein erreichen nichts, das ist eine Tatsache. Wir brauchen auch die anderen. Die Denker. Solche wie dich. Wie deinen Vater. Und von denen haben wir hier nicht halb so viele, wie uns guttäte. Willst du meinen Rat?«
Reichel konnte sich seinen Rat in den Arsch schieben, dachte Calder. Was er brauchte, waren Männer und Schwerter und zu Verrat bereite, kalte Herzen. Aber er hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass den meisten Menschen nichts besser gefällt, als wenn man ihnen zuhört. Vor allem mächtige Männer lieben das. Und Reichel war einer von Dows Anführern und hatte damit so viel Macht, wie man in diesen Tagen überhaupt erlangen konnte. Daher tat Calder das, was er am besten konnte: Er log. »Deswegen bin ich hier.«
»Dann lass die Dinge, wie sie sind. Anstatt gegen eine starke Strömung anzuschwimmen und in der kalten Tiefe alles aufs Spiel zu setzen, bleibe lieber am Strand und warte ab. Wer weiß? Vielleicht wird das Meer eines Tages anschwemmen, worauf du wartest.«
»Meinst du?« Soweit Calder das beurteilen konnte, hatte
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