Heldenklingen
dem Wind, der draußen herrschte.
Jetzt fühlte sie sich schuldig. Ja, letztlich liebte sie Hal. Damals, als er ihr den Antrag gemacht hatte, war sie innerlich alle entscheidenden Punkte durchgegangen und hatte die Vor- und Nachteile ganz genau gegeneinander abgewogen, um es sich selbst zu beweisen: Er war ein guter Mann. Einer der besten. Hervorragende Zähne. Ehrlich, mutig, unbedingt loyal. Aber manchmal genügt all das nicht. Deswegen brauchte der gute Hal jemanden, der praktischer dachte als er, um ihn durch die Stromschnellen des Lebens zu lenken. Deswegen brauchte er sie.
»Hal.«
»Ja?«
Sie lehnte sich gegen ihn, kuschelte sich an seine warme Seite und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich liebe dich.«
Sie musste zugeben, dass sie es genoss, so viel Macht über ihn zu haben. Mehr als diese Worte brauchte es nicht, um ihn vor Glückseligkeit strahlen zu lassen. »Gutes Mädchen«, flüsterte er, dann küsste er sie, und sie küsste ihn auch, die Finger in seinem Haar vergraben. Was ist Liebe, wenn nicht jemanden zu finden, der zu einem passt? Jemand, der die eigenen Unzulänglichkeiten ausgleicht?
Jemand, mit dem man arbeiten kann. An dem, verbesserte sie sich. An dem man arbeiten kann.
Aliz dan Brint war gerade hübsch genug, klug genug und wohlgeboren genug, damit ihre Gesellschaft nicht peinlich war, aber nicht hübsch genug, klug genug und wohlgeboren genug, um eine Bedrohung darzustellen. Es war ein recht schmaler Bereich, in dem Finree es darauf ankommen lassen wollte, eine Freundschaft aufzubauen, eine Freundschaft, die nicht die Gefahr in sich barg, dass sie eines Tages in die zweite Reihe gedrängt wurde. Dort hatte sie sich nie wohlgefühlt.
»Ich finde es schwierig, damit zurechtzukommen«, raunte Aliz und betrachtete die Reihen der marschierenden Soldaten durch ihre blonden Wimpern. »Ständig von Männern umgeben zu sein, daran muss man sich erst gewöhnen …«
»So etwas fällt mir gar nicht mehr auf. Das Heer war schon immer mein Zuhause. Meine Mutter starb, als ich noch sehr klein war, und dann wuchs ich bei meinem Vater auf.«
»Das … das tut mir leid.«
»Warum? Meinem Vater fehlt sie, glaube ich, aber mir? Ich habe sie niemals kennengelernt.«
Schweigen folgte, und das war vielleicht wenig überraschend, denn Finree begriff, dass ihre letzte Bemerkung konversationstechnisch einem Schlag mit einem Streitkolben gleichkam. »Und Ihre Eltern?«
»Sind beide tot.«
»Oh.« Jetzt fühlte sich Finree noch schlechter. Sie war es gewöhnt, dass sie in den meisten Gesprächen ein Wechselbad aus Ungeduld und Schuldgefühlen durchlebte. Wieder einmal fasste sie den Entschluss, sich mehr in Toleranz zu üben, aber das tat sie öfters, und es klappte nie. Vielleicht sollte sie einfach den Mund halten, aber auch das nahm sie sich des Öfteren vor, und es klappte noch weniger. Ihre Gedanken verloren sich im lauten Hufschlag, dem Donner der im Gleichschritt marschierenden Stiefel und den Befehlen der Offiziere, die hin und wieder laut jemanden zur Ordnung riefen, der aus dem Rhythmus geraten war.
»Wir ziehen nach … Norden?«, fragte Aliz.
»Ja, zu einer Stadt namens Osrung, wo wir uns mit den anderen beiden Divisionen zusammenschließen, unter General Jalenhorms und General Mittericks Befehl. Sie sind möglicherweise keine zehn Meilen mehr von uns entfernt, auf der anderen Seite dieser Hügelkämme«, erwiderte Finree und deutete mit ihrer Reitpeitsche auf die niedrigen Hänge zu ihrer Linken.
»Wie sind diese beiden Generäle denn so?«
»General Jalenhorm ist …« Achtung, jetzt war Taktgefühl vonnöten. »Ein mutiger und ehrlicher Mann, ein alter Freund des Königs.« Der aus diesem Grund wesentlich höher befördert worden war, als es seinen beschränkten Fähigkeiten eigentlich entsprochen hätte. »Mitterick ist ein fähiger und erfahrener Soldat.« Und außerdem war er ein ungehorsamer Sturkopf, der die ganze Zeit über auf die Position ihres Vaters schielte.
»Und jeder befehligt ebenso viele Männer wie unser Lord Gouverneur Meed?«
»Jeweils sieben Regimenter, zwei berittene und fünf zu Fuß.« Finree hätte alle Zahlen, Titel und die Namen der hochrangigen Offiziere herunterschnurren können, aber Aliz machte den Eindruck, als habe sie auch so schon die Grenzen ihres Begriffsvermögens erreicht. Diese Grenzen schienen nie besonders weit entfernt, aber Finree war trotzdem fest entschlossen, sich mit ihr anzufreunden. Ihr Gatte, Oberst Brint, war ebenfalls ein alter Freund des
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