Heldensabbat
Veteranentreffen«, albert Parvus, der Pianist.
»Sagt dir das etwas, Dicker?« wendet sich der Fähnleinführer an Benno.
»Nicht, wenn ich verkatert bin.«
Bruckmann reißt die Tür zum Vorzimmer auf. »Etwas leiser, wenn's geht, meine Herren«, ruft er den Wartenden zu. »Sie erhalten gleich Gelegenheit, sich bei mir gründlich auszusprechen.« Er schlägt die Tür wieder zu und wendet sich erneut an den vergesslichen Zeugen. »Also«, sagt er, »fällt Ihnen jetzt endlich etwas ein?«
»Warum traktieren Sie mich eigentlich, wenn Sie schon alles wissen, Herr Oberkommissar?« geht der Abiturient aus der Deckung in den Angriff. »Und woher eigentlich?«
»Fragen stelle ich«, versetzt Bruckmann imperativ. »Und werden Sie bloß nicht unverschämt, sonst kann ich auch andere Saiten aufziehen.« Nach dem Peitschenschlag reicht er sofort wieder das Zuckerbrot: »Also, vertragen wir uns wieder, Herr Müller. Fangen wir noch einmal von vorne an.«
»Wie gesagt, wir waren eine geschlossene Gesellschaft. Wir haben getrunken, getanzt, gelacht und Witze gerissen – manchmal gute, manchmal schlechtere –«
»– manchmal über die Mädchen und zuletzt gegen den Führer«, ergänzt der Mann von der Politischen Polizei.
»Ich doch nicht«, erwidert Müller II treuherzig. »Jedenfalls erinnere ich mich an nichts mehr«, schränkt er ein.
»Gut«, entgegnet der Beamte. »Ich werde Ihrem Gedächtnis Gelegenheit geben, sich zu erholen.«
Müller II bleibt stur und stumm. Der Oberkommissar fordert ihn auf, draußen zu warten, und verbietet ihm, mit den anderen über den Anlaß der Vernehmung zu sprechen. Bruckmann öffnet wieder die Tür, in der Manier eines Arztes, der sich aus seinem Warteraum den Patienten greift, der an der Reihe ist. Er sieht, daß inzwischen auch Claudia eingetroffen ist. »Bitte, meine Dame«, sagt er gespielt-galant. »Kommen Sie doch gleich mal rein. Ich will es kurz machen.«
Stefan starrt noch auf die Tür, als sie längst geschlossen ist.
»Was ist eigentlich da drinnen los?« fragt er dann.
»Dicke Luft«, brummelt Müller II. »Dieses Scheißinterview. Hätt' ich doch bloß die Schnauze gehalten.«
»Späte Erkenntnis, Witzbold«, staucht Stefan ihn zurecht.
»Seid froh, daß ihr so angeschickert wart«, entgegnet der Pseudoreporter. »Wer schlau ist, hält die Klappe. Wer redet, kriegt vermutlich Scherereien mit der Polente.«
»Quatsch keine Opern!« fährt ihn Stefan an. »Sag lieber, um was es geht.«
»Vermutlich um Dr. Faber«, übertritt Müller II Bruckmanns Schweigegebot. »Einer muß ihn verpfiffen haben. Möcht' nur wissen, wer dieses Schwein ist.«
Einen Moment lang ist es still; einer betrachtet den anderen. Mittlerweile haben sich mit Gernbach, dem Generalssohn, und Truchsess, dem Grafensproß, die beiden feinen Pinkel der früheren 8 c eingefunden.
Müller II geht an die Tür, zögert einen Moment. »Schiffen wird man ja wohl noch dürfen«, erklärt er dann – aber er will nicht austreten, er sucht eine öffentliche Telefonzelle auf, denn seine Lebensgeister stehen, trotz des Katers, jetzt in voller Tätigkeit. Er kombiniert: Den jungen Bertram hat man nicht vorgeladen, und Rolf ist der künftige Schwager Dr. Fabers.
Claudia kommt aus dem Vernehmungszimmer; sie hatte nichts zu sagen. Und so geht es den ganzen Vormittag weiter.
Müller I: »Ich habe fast zwei Flaschen Wein getrunken und war total weggetreten.«
Josef Sterzbach: »Ich hab' überhaupt nichts gehört, hab' in der Ecke Karten gespielt.«
Rainer Ramm: »Was, ein Rundfunkinterview? So ein lächerlicher Angeber, dieser Müller II!«
Graf Truchsess: »Hab' mich mit Ferdinand Grubbe über Fußball unterhalten.«
Ferdinand Grubbe: »Stimmt. Wir haben gewettet, daß Schalke 04 deutscher Meister wird.«
Parvus: »Versteh' ja nicht viel vom Sport, aber ich hab' auf Admiral Wien gesetzt.«
Susanne: »Ich hab' mit Rolf Bertram geflirtet. Der Bursche hat es tatsächlich gewagt, mich zu küssen.«
Benno Metzger: »Bin wirklich ein strammer Nationalsozialist, aber an soeinem Abend pfeif ich auf die Politik. Ich hab' mich mit Gernbach übern Wechselschritt beim Foxtrott unterhalten. Wissen Sie, Herr Oberkommissar, der Lange tanzt doch so gut, hat er im Offizierscasino abgeguckt.«
Kurz vor Mittag entlässt Bruckmann die Zeugen, fordert sie aber auf, am Nachmittag sich weiter bereitzuhalten. Als letzten hat er sich Stefan Hartwig vorgenommen und ihn an seine Verantwortung als Fähnleinführer
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