Heldensabbat
daß keiner eingreifen kann, daß Faber das letzte Signal überfährt und daß der unbekannte Denunziant unter ihnen jedes Wort deutlich versteht.
»Was halten Sie von unserem Führer Adolf Hitler?«
»Der Schöpfer des freiwilligen Zwangs.«
»Von Hermann Göring?«
»Der Meister des schlichten Prunks.«
»Von Dr. Josef Goebbels?«
»Der Erfinder der relativen Wahrheit.«
»Von Dr. Schacht?«
»Der Vater der stabilen Inflation.«
Sie brauchen ein paar Sekunden. Dann begreifen sie den Witz ganz. Sie lachen wie ein betrunkener Kriegerverein. Vielstimmig. Auch der unbekannte Spitzel lacht mit. Dann steht er auf, geht auf die Toilette und notiert sich hastig Fabers Worte. Niemand achtet auf ihn. Auch Stefan Hartwig nicht, dessen Gesicht den Widerstreit seiner Gefühle zeigt. Es hat zwei Hälften. Die eine muß über den gelungenen Witz lachen, die andere wird steif vor Trotz. Lass ihn, denkt er. Unsere Wege trennen sich ohnedies. Der Führer hat so viele Gefolgsleute. Auf einen kommt es nicht an.
Und dann reißt er Claudia wild an sich, schüttelt sie beim Tanz, als ob er ihr Fabers Antifaschismus austreiben könnte.
»Was hast du denn?« fragt sie erschrocken.
»Nichts«, erwidert Stefan.
Sie toben noch eine halbe Stunde, dann endet die rauschende Ballnacht.
Nicht für den Denunzianten. Er läutet Studienprofessor Pfeiffer an und zahlt den Preis für das erschlichene Reifezeugnis.
»Mensch, Braubach«, sagt Pfeiffer. »Sie kommen jetzt gleich zu mir.«
Der Alt-Pg versucht Panofsky zu erreichen; aber der Hauptsturmführer ist bei einer Tagung in Berlin. Er muß sich mit dem Leiter der politischen Polizei begnügen. »Bruckmann«, sagt er zu dem Mann, den er um 2 Uhr morgens aus dem Schlaf reißt, »ich glaube, wir haben ihn jetzt.«
»Wen?« fragt der Oberkommissar abwesend. »Ach ja –«, sagt er dann. »Gut ich komme … Nicht einmal in der Nacht hat man seine Ruhe«, sagt er mißmutig zu seiner neben ihm liegenden Frau. Aber Frieda schläft fest – oder tut wenigstens so.
Den ersten Bus nach Mainfranken versäumt Hans Faber, doch er schafft den zweiten, der kurz nach 8 Uhr abgeht, und erhält einen Sitzplatz am Heck. Sein Brummschädel erinnert ihn an gelegentliche Zechexzesse seiner Studienzeit, aber der Abschiedsabend mit diesen prächtigen Jungen war wohl wert, daß ihm sein Magen jetzt jede Kurve einzeln vorrechnet.
Die Sonne zieht den Nebel von der Erde, und fast gleichzeitig wirken jetzt auch die Antineuralgietabletten. Das langsame Gefährt passiert Waldstücke und Wiesen, zwängt sich durch enge Ortsdurchfahrten mit schönen Fachwerkhäusern, durchquert uraltes Kulturland, fast noch wie zu Karls des Großen Zeiten. Sattgrüne Rebhügel wachsen in den seidigblauen Horizont. Der Bus rollt an Kreuzigungsgruppen und Heiligenbildern vorbei, an Waldkapellen und an Wallfahrtskirchen. Die Landschaft wirkt natürlich fromm, als wandle der Herr noch auf Erden, und da sich der Himmel nichts schenken lassen will, wird sie durch fruchtbare Überfülle belohnt.
Am Westabfall des Steigerwalds kommt Ebrach in Sicht, die Zisterzienserabtei mit der schönsten frühgotischen Kirche Deutschlands. Und dann werden die Hinweisschilder auf die Abzweigungen zu den umliegenden Orten weinig: Abtswind, Iphofen, Escherndorf, Volkach, Rödelsee, Randersacker. Dann sieht man schon die sechsunddreißig Türme der Dettelbacher Stadtmauer am Abhang des rechten Mainufers.
Tante Gunda, nach Mainbachs Stadtheiliger genannt, eine grundgütige und streitbare Witwe, betreibt hier mit drei Helfern ein kleines Weingut. Ungeduldig erwartet sie Hans Faber bereits an der Tür. Sie sieht seiner Mutter so ähnlich, daß es schmerzt und beglückt, aber Mutter war zurückhaltender, weit weniger an den Gütern des Lebens interessiert und stiller – vielleicht, weil sie zeitlebens nie so recht gesund war. Tante Gunda hatte dem Neffen die Eltern ersetzen müssen und sich dabei redlich bemüht. Schon als Gymnasiast verbrachte der kleine Hans die Ferien in Dettelbach. Zwischen seinen Unisemestern half er im Weinberg mit, schließlich bezahlte ihm seine Tante das Studium, und schon aus Dankbarkeit ist er wohl ein so konsequenter Erzieher geworden.
»Du kommst allein?« begrüßt ihn Tante Gunda enttäuscht.
»Sibylle steckt mitten im Examen«, erklärt der Besucher. »Aber in vier Wochen wird sie es geschafft haben. Dann bist du an unserer Hochzeitstafel Ehrengast.«
»Wie ich mich freue«, entgegnet die Sechzigjährige. »Ihr paßt
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