Heldensabbat
Primanerin hat sich in eine noch hübschere junge Dame verwandelt, die sich in der RAD-Baracke ausnimmt wie die Prinzessin neben dem Schweinehirten. Stefan kann sich in diesem Moment nicht vorstellen, daß sie in wenigen Monaten genauso bekümmert und verloren im schmutzfarbenen, groben Tuch dastehen soll, das der Führer seiner Jugend verpasst.
Claudia, deren Bild im Spind hängt, um den die anderen herumstehen, und deren Gesicht unter ihren Zoten nicht zuckt wie Stefans Fäuste. Jetzt starrt er sie an. Seine Hände streichen an seiner Arbeitskluft entlang, als ob sie den Schmutz wegwischen wollten.
»Was hast du denn?« fragt Claudia verlegen.
»Nichts«, erwidert Stefan heiser.
Jetzt haben sie noch acht Minuten. Sie spüren den Blick der Truppführer, die sich grinsend in die Schreibstube drängen, in ihrem Rücken.
»Hast du meine Briefe bekommen?« fragt Stefan überflüssigerweise.
»Ja«, erwidert sie.
»Ich kann dir das alles nicht so sagen – jetzt – hier – magst du mich noch?«
Claudia antwortet mit den Augen.
Vom Gang her kommen Pfiffe, Schreie, Kommandos, Schritte.
»Es ist bald ausgestanden«, fährt Stefan fort. Sein Gesicht verzerrt sich.
Das Mädchen nickt lächelnd. »Dann komme ich zum RAD, falls ich bis dahin nicht verheiratet bin«, erwidert die künftige Medizinstudentin.
»Bei Mädchen ist es nicht so schlimm«, tröstet der Freund. »Die können sie nicht so schleifen wie uns.«
»Haben Sie schleifen gesagt, Hartwig?« unterbricht ihn einer der Truppführer. »Ich merke mir das«, droht er. »Ich schieb' mir 'nen Trumpf in den Ärmel.«
»Vielleicht sollten wir gleich heiraten«, übergeht Stefan die Drohung.
»Aber dafür sind wir doch noch zu jung«, erwidert Claudia verkrampft.
»Aber du brauchtest dann nicht mehr –«
»Sind Sie bald fertig, Hartwig?« ruft in diesem Moment der zurückkommende Feldmeister.
»Jawohl«, erwidert Stefan verbissen.
»Bis später!« ruft ihm Claudia nach.
Der Eimer steht bereit. Stefan scheuert wie ein Besessener darauf los. Einmal sieht er auf. Der Feldmeister und Claudia gehen über den Gang zur Kantine. Der Stich der Eifersucht rast durch den Körper des Achtzehnjährigen. Er schlägt mit dem nassen Lappen auf die Holzbohlen ein, als ob er das Gesicht des RAD-Führers vor sich hätte.
»Tut mir leid«, sagt Weinrich zu Claudia, »aber hier herrscht eiserne Disziplin. Ich kann keine Ausnahme machen, auch nicht mit Abiturienten.«
Nach eineinhalb Stunden meldet Stefan, daß der Gang sauber gemacht sei. Der Truppführer holt Weinrich. Der Mann stapft breitbeinig den Flur entlang, und in seinem Gesicht schwimmen Wichtigkeit und Schadenfreude. Claudia steht im Hintergrund.
Der Feldmeister reagiert träge; er fährt mit dem Finger seines Handschuhs über den Boden.
»Dreck«, sagt er lakonisch; er läßt einen neuen Wasserkübel kommen und kippt ihn vor Stefans Füße. »Weitermachen!« befiehlt er. »Wir haben ja Zeit. Sie werden's schon noch lernen, RAD-Mann Hartwig.«
So sieht das Wiedersehen mit Claudia aus. Die Freundin reist einen Tag früher zurück. Alles, bloß nicht zum Arbeitsdienst, sagt sie sich, das ist das Letzte, das Übelste. Sie sieht Stefan vor sich, den Primus, den Fähnleinführer, die Sportskanone – auf Null gebracht, ein Roboter im Drillichzeug, einer, der etwas zu sagen hat und den Mund halten muß.
Zum ersten Mal versteht die Arzttochter ihre Mutter, die Stefan mag, ebenso wie ihr Vater. »Aber Kind«, jammert sie gelegentlich, »er ist doch viel zu jung für dich. Das hat doch keinen Sinn. Es würde doch Jahre dauern, bis ihr daran denken könnt zu heiraten.«
Die Eltern müssen immer gleich an das Heiraten denken, überlegt Claudia. Es ist einfach ortsüblich und alles andere sittenwidrig – aber wie denkt sie eigentlich selbst darüber? Natürlich steht Stefan bei ihr an erster Stelle, dann kommt ihr Studium, und dazwischen stellt sich die Frage, wie sie um den weiblichen Arbeitsdienst herumkommen könnte.
Zur Zeit tragen bereits hunderttausend Maiden das grobe braune Tuch, aber weitere Einberufungen werden unweigerlich folgen, wenn die neuen Barackenlager fertiggestellt sind.
Sie stehen sauber ausgerichtet in Linie zu einem Glied, drei Offiziere, zwei Unteroffiziere und Feldwebel und fünf Mannschaftsdienstgrade – Soldaten der Panzerlehrabteilung, die sich im Polen-Feldzug besonders ausgezeichnet haben.
Der vierte von links ist Feldwebel Faber. Die Zeit hat aus einem überzeugten
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