Heldensabbat
gehässig.
Es ist der Startschuß für die übliche Schinderei.
»Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf!«
Die Jungen keuchen. Die Truppführer fegen als Schergen des Feldmeisters zwischen sie wie Treiber bei der Sauhatz.
So geht es noch eine Stunde weiter. Es gibt keine Schikane, die den Schleifern nicht einfallen würde.
Während Stefan in der knappbemessenen Mittagspause seine Kartoffeln schält, streift sein Blick das Bild des Mannes an der Wand, der diese seltsame Zwangserziehung erfunden hat. Unter dem wuchtigen Kopf des Reichsarbeitsführers Hierl steht in goldenen Lettern: »Der RAD ist eine Schule für das Leben.«
In diesem Moment verkündet der Feldmeister, gewissermaßen als Nachtisch, für die ganze Einheit Ausgangssperre. Er steigt auf einen Stuhl und dröhnt in gezielter Tücke: »Ihr wißt ja, wem ihr das verdankt!« Dann betrachtet er Stefan genüßlich. Er hat ihm jetzt noch eine Kur verpaßt, die er zu seinem Ärger nicht offiziell verordnen darf, eine Abreibung, blasphemisch ›Heiliger Geist‹ genannt.
So liegt am Abend der frühere Primus der 8 c auf seinem Strohsack und wartet auf sie. Auf die Kameraden, die ihn zu verprügeln haben. Er zieht die Knie an den Oberkörper und ballt die Fäuste. Die Schule der Härte sieht so aus, daß mindestens fünf über einen herfallen. Der Arbeitsdienst gibt sich militanter als der Barras, vielleicht aus Ärger darüber, daß er doch nicht mehr ist als ein verachteter Blinddarm der Wehrmacht.
Nach dem Zapfenstreich kommen sie. Die ersten sind vorsichtig, denn sie fürchten Stefans Fäuste. Der ehemalige Fähnleinführer springt auf, schlägt wild zu. Zwei boxt er noch zusammen, dann siegt die Übermacht. Auf einmal lassen die ersten von ihm ab: Benno und Rolf, die beiden Leidensgenossen aus der 8 c, haben aufgepaßt und kommen Stefan zur Hilfe.
Das Duell der Fäuste und Füße dauert zehn Minuten und endet unentschieden. Einige der Kombattanten müssen vor Dienstantritt ins Krankenrevier, um sich verbinden zu lassen. Stefan hat zwei Streifen Heftpflaster im Gesicht. Es ist unangenehm, denn am Wochenende wird Claudia kommen, und für diesen Besuch hat er sich einiges vorgenommen.
Die Freundin erscheint auf die Minute pünktlich, aber der Spaziergang findet nicht am Waldrand, sondern in der Schreibstube statt. Stefan ist auch nicht mit der Freundin allein, sondern die Truppführer stehen herum und betrachten mit vielen Augen das hübsche Mädchen eindeutig.
»Tag, Stefan«, sagt Claudia spröde.
Er erwidert überhaupt nichts. Er sieht an seinem schmutzigen Drillichzeug herunter. Dann macht er Ehrenbezeigungen, so zackig, daß das Krätzchen vom Kopf fällt.
»Was hast du denn für Haare«, lacht Claudia.
Stefans struppige Bürste steht steil nach oben, wie es RAD-Mode ist.
Ein Truppführer sagt gemütlich: »Na, nu geben Sie mal Pfötchen Ihrer Braut.«
»Das tue ich, wenn Zeit dazu ist.« In Stefan zischt der Zorn hoch wie kochendes Wasser.
»Da werden Sie nicht viel Zeit haben«, entgegnet der Mann gehässig. Er lächelt Claudia an. »Er muß nämlich heute noch die Baracke schrubben.«
Die Tür des Nebenzimmers öffnet sich. Feldmeister Weinrich kommt mit salopp übergeworfenem Ledermantel heraus.
»Was ist denn hier für 'ne Versammlung?« fragt er. Sein Blick tastet sich an Claudia tief und hoch.
»Besuch«, strahlt der Truppführer.
»Gratuliere«, antwortet der Feldmeister.
»Nicht für mich«, brummt der Ausbilder zurück. Er deutet auf Stefan.
»Wollen Sie mich der jungen Dame nicht vorstellen?« fordert der Allgewaltige den RAD-Mann Hartwig auf.
Stefan tut es mit klammer Stimme.
»Pech gehabt mit dem Strafdienst, was?« meint der Feldmeister im Weggehen. »Das nächste Mal reißen Sie sich gefälligst am Riemen!« Er sieht auf die Uhr. »Ich gebe Ihnen zehn Minuten, Hartwig, dann treten Sie an!«
Zehn Minuten für Claudia! Nach neun Wochen, nach vielen Briefen. Claudia, die auf einmal so anders aussieht als sonst. Ihre langen, weichen Locken fallen bis auf die Schultern und verdecken den Nacken, der Stefan in der Schule so verwirrt hat. Sie ist größer geworden, weil sie jetzt auf hohen Absätzen geht. Und ihr Gesicht, das er acht Jahre lang jeden Tag gesehen hat, gleichgültig zuerst, dann beunruhigt und schließlich beglückt, ist auf einmal fremd, wirkt älter, reifer, sicherer. Und die Augen glänzen kühler. Und die Worte kommen gezielter. Und der Pullover sitzt, als ob die Haut Maß genommen habe. Die hübsche, schlichte
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