Heldensabbat
gehen ins »Graupner«, finden einen gemütlichen Eckplatz, und Claudia beginnt mit der Aufzählung von Neuigkeiten. Stefan fürchtet, daß sie auf seinen Onkel zu sprechen kommen wird, aber dazu ist sie zu taktvoll, und dafür ist er dem Mädchen dankbar. Langsam schwindet die Entfremdung, aber an ihre Stelle tritt eine neue Spannung, wie er sie früher nur in bestimmten Momenten fühlte; sie macht es ihm schwer, Claudia anzusehen und dabei das Verlangen zu verbergen.
»Stell dir vor, Stefan, unser früherer Klassenleiter Dr. Faber ist schon seit Wochen in Mainbach und wird im Lazarett im Priesterseminar ambulant behandelt. Er ist Oberleutnant und –«
»Ich weiß«, unterbricht sie der Urlauber. »Und einer der besten Offiziere des ganzen Regiments, und das heißt etwas unter altgedienten Kavalleristen.«
»Er war von jeher etwas Besonderes«, ergänzt Claudia. »Ich hab' ihn immer schon gemocht.«
»Ich eigentlich auch«, versetzt Stefan, »aber gehasst hab' ich ihn ebenfalls.«
»Du solltest ihn besuchen, er wird sich bestimmt darüber freuen.«
»Ich weiß nicht recht –«, entgegnet Stefan gedehnt. »Ich war Rolfs bester Freund. Mache ich es Sibylle und Frau Bertram nicht noch schwerer?«
»Das Leben muß weitergehen«, erklärt die Ex-Freundin. »Oder meinst du, Rolf würde deine Eltern nicht besuchen, wenn – Gott bewahre – dir etwas zugestoßen wäre?«
Er betrachtet sie verblüfft. »Du hast ja recht«, bestätigt er. »Sind Medizinerinnen so klug? Wann wirst du übrigens deine Abschlußprüfung machen?«
»Wenn alles gut geht, in zwei Jahren.«
»Und wann wirst du heiraten?«
»Nicht vor Weihnachten.«
»Ich weiß nicht – einen übertrieben glücklichen Eindruck machst du eigentlich gar nicht auf mich –«
»Wer in diesen Zeiten übertrieben glücklich ist«, entgegnet Claudia, »muß ein Narr sein.«
»Ich nehm' dich beim Wort«, schüttelt Stefan seine Unschlüssigkeit ab. »Ich lade dich ein – nicht in den Hain, aber zum Essen, ganz groß, ins ›Messerschmitt‹, danach zum Cocktail in die ›Drei-Kronen-Bar‹, und dann spiele ich den Trottel und liefere dich zuverlässig vor deiner Haustür ab.«
»Bist du denn auf einmal so reich?« erwidert Claudia lachend.
»Frontzulage«, erklärt er. »In Rußland war verdammt wenig Gelegenheit, Geld auszugeben.«
Sie kommen überein, daß Stefan die Jugendfreundin morgen Abend um 20 Uhr in der elterlichen Villa abholen wird.
»Freu' mich schon«, verabschiedet sich Claudia.
Stefan freut sich auch, aber er gesteht es sich nicht ein. Er ist auf einmal voller Tatendrang. Er ruft bei den Bertrams an.
Sibylle ist am Telefon. »Du kommst uns immer gelegen, Stefan«, sagt sie. »Komm am besten gleich vorbei.«
Zehn Minuten später stößt er im Vorgarten der Bertram-Villa auf Rolfs Schwester.
Sie stürmt auf ihn zu, begrüßt ihn herzlich, aber Stefan spürt, daß es mehr seinem abgeschossenen Freund gilt. »Mutter ist ein paar Tage bei Tante Gunda in Dettelbach«, sagt sie. »Sie würde sich sehr freuen, dich zu sehen. Du hast ja sicher noch länger Urlaub.«
»Noch neunzehn Tage«, erwidert der Besucher. »Schlimm, für deine Mutter –«
»Schlimm für uns alle«, entgegnet die junge Frau, »aber –«
Jetzt erst sieht der Oberfähnrich den fünfzehn Monate alten Knirps, der auf der Erde auf allen Vieren auf seine Mutter zukriecht und sich jauchzend an ihr emporrankt.
»Der jüngste Faber«, stellt Sibylle vor und nimmt den Kleinen auf den Arm. »Hänschen macht es meiner Mutter leichter, den Verlust zu ertragen.«
Stefan steht verlegen vor dem Kind, er kann nicht viel mit dem Buben, der die Hände nach ihm ausstreckt, anfangen.
»Wem sieht er ähnlich?« fragt Sibylle.
»Bitte frag mich etwas Leichteres«, erwidert der Besucher verlegen.
»Du mußt blind sein, Stefan«, entgegnet Sibylle. »Er ist seinem Vater doch wie aus dem Gesicht geschnitten … Komm«, fährt sie fort und geht in das Haus voraus.
Das herzliche Lächeln, mit dem der frühere Ordinarius seinen Primus und Problemschüler empfängt, läßt keinerlei Befangenheit aufkommen. Der Händedruck ist kräftig, der Blick offen. Selbst noch im Hausmantel wäre der Pädagoge und Reserveoffizier der Schwarm seiner Schülerinnen. Dr. Hans Faber spricht nicht viel, er fragt nicht, er zwingt auch nicht zum Erzählen, er drückt dem Besucher ein Glas Cognac in die Hand. »Trinken wir darauf, daß Sie das Schlamassel überstanden haben, Stefan«, sagt er.
»Als
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