Heldensabbat
uns«, erwidert Stefan mit plötzlicher Fröhlichkeit.
Sie haben das Luxusrestaurant »Messerschmitt« erreicht. Die Mainbacher besuchen es, wenn sie sich einen großen Tag machen wollen oder wenn sie zur braunen Lokalprominenz gehören. Den Eisendreher Eisenfuß hätte man vor Jahren wohl kaum an die feudale Tafel gelassen, Kreisleiter Eisenfuß und die anderen Goldfasane aber feiern hier die großen Daten der Bewegung: den Tag der Machtergreifung, den 1. Mai, das Erntedankfest, die Siege in Frankreich und Russland und natürlich auch Führers Geburtstag. Und zwischendurch außerplanmäßige Gelegenheiten, wie die Reichskristallnacht oder die Verhaftung des Rechtsanwalts Dr. Wolf gang Hartwig.
Stefan hätte bei der Platzreservierung im Nobelrestaurant an den 20. April denken müssen. So hat man ihn ausgerechnet im Nebenzimmer der braunen Zechkumpane in eine Zweiernische platziert.
»Vielleicht dachte der Wirt, daß ein ehemaliger Fähnleinführer gut zu den Hoheitsträgern paßt«, sagt Claudia lachend.
Sie zieht die Blicke auf sich, so daß Stefan zunächst von den Lärmenden nicht beachtet und nicht erkannt wird.
Von den Gefolgsleuten, die der Führer heute zechfrei hält, kennt der Oberfähnrich nahezu alle persönlich: den Bannführer Greifer, den Politpolizeichef Bruckmann, den Alt-Pg Pfeiffer, den Adjutanten Wimmer, den Rechtsanwalt Vollhals, Drexler, den Milchmann, den Singlehrer Stocker und die anderen Hoheitsträger, deren Bäuche über das Koppelschloß quellen.
»Mein Freund Rolf, Rainer Ramm, der sensible Parvus und der miese Braubach sind hops gegangen, aber die hier halten die Heimatfront«, sagt Stefan halblaut zu Claudia und grinst. »Die kämpfen nicht gegen die Russen und Engländer, sondern gegen den Bluthochdruck und die Leberzirrhose.«
»Nicht so laut«, warnt sie und legt die Hand auf seinen Arm.
Ein feingekleideter Ober kommt an den Tisch, überreicht ihnen die Karte.
»Was trinken denn die Herren von der Kreisleitung?« fragt Stefan.
»Einen mundigen Bocksbeutel«, erwidert der Kellner ohne Zögern. »Würzburger Stein, eine siebenunddreißiger Spätlese.«
»Was für den Parteigenossen Eisenfuß gut genug ist«, spottet Stefan und lächelt seiner Begleiterin zu, »schmeckt vielleicht auch uns. Was meinst du, Claudia?«
»Du bist der Gastgeber.«
»Aber –«, stottert der Ober nun doch verdattert, »aber das ist –«
»Sie meinen, daß es für uns zu teuer ist?« fragt Stefan belustigt. »Für was habe ich mir denn in Rußland die Frontzulage zusammengespart?«
»Gut, mein Herr«, erwidert der Wohlgekleidete. »Und hier wäre die Speisekarte.«
»Welche Lebensmittelmarken sind erforderlich?« fragt der Oberfähnrich und starrt zum Prominententisch.
»Fünfzig Gramm Fleisch und zehn Gramm Fett«, erwidert der Ober.
»Gut wir nehmen das Gleiche.«
»Du bist vielleicht ein frecher Hund«, sagt Claudia.
»Ach weißt du, ich meine das gar nicht politisch«, versetzt Stefan, »aber wenn ich an uns arme Schweine in Rußland denke und das Schlamassel mit der Fettleber hier vergleiche –«
»Eine schlimme Sache«, entgegnet Claudia und wechselt das Thema. »Du erinnerst dich noch an Müller I?«
»Alfred?«
»Ja, den Steuermann des Regattaachters –«
»Auch gefallen?« fragt Stefan hastig.
»Nein. Er hat ein paar Tage Sonderurlaub erhalten. Seine Mutter liegt in der Agonie – Magenkarzinom, zu spät erkannt, inoperabel –«
»Fürchterlich.«
»Und wenn sie nicht rasch genug stirbt, muß Alfred wieder zu seiner Truppe zurück.«
»Armer Hund«, sagt der Oberfähnrich. »Scheußlich.«
Der Ober bringt den Wein.
Stefan kostet ihn, wie auf der Kriegsschule gelernt, und nickt. »Ausgezeichnet«, lobt er. »Die Herren wissen wirklich, was ein guter Tropfen ist.«
Der Kellner, ein Fünfundsechzigjähriger, der wie ein Grandseigneur aussieht, bediente früher andere Herren: die reichen Hopfen-Juden aus der Hainstraße. Auch sie hatten einen guten Geschmack. Die Gäste haben gewechselt und werden sicher auch wieder wechseln, aber die Güte von Küche und Weinkeller stehen in diesem Haus außer Frage.
Stefan prostet Claudia zu, er erspart ihr und sich eine Anspielung auf ihre Hochzeit, die ihm auf der Zunge liegt; er trinkt zügig. Er muß das Elend um Müller I hinunterspülen und sich die mostrichfarbene Gesellschaft an der langen Tafel erträglich saufen. Es gelingt ihm. Auch Claudia wird mit jedem Schluck lockerer. Sie lächelt ihm zu wie Eva im
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