Heldensabbat
Dank!«
»Aber ich bitte dich, Sibylle«, entgegnet Stefan. »Du kannst dir nicht vorstellen, was es mir bedeutet, daß ich zu Dr. Faber du sagen darf, wie zu einem Freund.« Er drückt der jungen Frau die Hand und läuft davon. Er spricht es nicht aus, aber es ist ihm, als wäre ihm das Ritterkreuz verliehen worden.
Claudia hat es nicht nötig, ihr Aussehen zu verbessern, aber heute Abend macht sie sich mit besonderer Sorgfalt zurecht und schlüpft in ein raffiniertes, fast sündiges Kleid, das ihre Figur voll zur Geltung bringt und viel Haut zeigt. Es macht ihr Freude, ihrem Jugendfreund Stefan vorzuführen, daß sie keine züchtige Gymnasiastin mehr ist und auch kein BDM-Mädchen, sondern eine selbstbewußte junge Dame, bereits im sechsten Medizinsemester.
Sie zieht noch einmal die Lippen nach, betrachtet sich im Spiegel, selbstkritisch und doch durchaus mit sich zufrieden. Sie trägt Schuhe mit hohen Absätzen, ihre Beine können sich sehen lassen, und so wird sie sie auch herzeigen. Zuletzt legt sich Claudia die Nerzstola ihrer Mutter um die bloßen Schultern – die Eltern sind verreist, und dem Prunkstück sieht man ja nicht an, daß es ihr nicht gehört. Als Duftnote wählt sie das verwirrende Parfum, das ihr Vetter Fritz, zur Zeit Besatzungssoldat in Frankreich, aus Paris mitgebracht hat. Sie nimmt sich vor, an diesem Abend verspielt, kokett und verführerisch zu sein. Es macht ihr einfach Spaß, sich in dieser uniformen Zeit einmal als kapriziöses Luxusgeschöpf zu geben.
Um 20 Uhr erscheint Stefan. Er klingelt – wie früher – dreimal; es ist das persönliche Erkennungssignal. Er kommt pünktlich auf die Sekunde, er ist verläßlich wie immer, ein großer sportlicher Junge, der geborene Idealist, dem es gut tut, sich die Hörner ein wenig abgestoßen zu haben.
Claudia vergleicht ihn einen Moment lang mit Christian, ihrem Verlobten, aber man kann nicht einen Romantiker einem Realisten gegenüberstellen. Ihr Bräutigam ist älter, besonnener, hintergründiger. Obwohl sie Christian natürlich gern hat, ist er mehr der Kandidat ihrer Mutter als ihr eigener, mehr die Pflicht als die Kür. Für ein Mädchen im Alter Claudias sind Küsse im Mondschein noch reizvoller als Gespräche über die Quantentheorie.
»Komm herein, Stefan«, lädt ihn Claudia ein und genießt, daß er ihren Anblick so umwerfend findet, wie sie es sich vorgestellt hat.
»Du bist ja die reinste Mischung aus Lulu und Cleopatra«, stellt er fest. »Mensch, Mädchen, Claudia – siehst du vielleicht phantastisch aus!« Er betrachtet sie unverwandt. »Schnall mich an«, sagt er, »sonst vergess' ich, daß du zu einem anderen gehörst.«
»Ich vergess' es schon nicht«, entgegnet seine abendliche Begleiterin.
Stefan trägt Uniform, nicht, weil er vergessen hätte, Zivilerlaubnis zu beantragen, sondern weil er aus seinen Pennäleranzügen herausgewachsen ist. Die Offiziersmontur kleidet ihn gut, entstellt ihn nicht wie das grobe RAD-Tuch. Sie ziehen los. Die hübsche Blondine hängt sich bei ihm ein. Sie schlendern durch die Hainstraße, Richtung Schönleinsplatz, ganz Romeo und Claudia. Mitunter berühren sich ihre Schultern, dann flutet das Verlangen über Stefans Haut, mächtiger noch als bei dem Skiausflug, als sie von ihrem Ordinarius kurz vor dem Sündenfall in Claudias Zimmer überrumpelt worden waren.
»Weißt du, daß ich gestern Dr. Faber besucht habe?« beginnt Stefan.
»Das freut mich.«
»Wir sagen jetzt du zueinander«, erklärt er und genießt nunmehr Claudias Überraschung. »Wir sind richtige Freunde geworden.«
»Er nimmt dich für voll«, erwidert Claudia.
»Das hat er immer«, versetzt der Urlauber.
Claudia bleibt stehen. »Ich doch auch«, bekennt sie.
»Und warum heiratest du dann einen anderen?«
»Weil wir zu jung füreinander sind«, erwidert sie.
»Die Weisheit der Spießbürger«, entgegnet Stefan verärgert. »Außerdem bin ich dir immerhin fünf Monate voraus«, stellt er fest. »Und der Krieg macht alt.«
Der an Führers Geburtstag übliche Fackelzug fällt wegen der Verdunkelung aus. Auch die Trommeln und Fanfaren der Spielmannszüge sind verstummt. Aus den Lautsprechern aber dröhnen die Geburtstagsgratulationen weiter.
»Da wird sich Oberstudiendirektor Dr. Schütz heute wieder eine Verzierung abgebrochen haben«, sagt Stefan, auf den Rex mit dem Vatermörder und dem Parteiabzeichen anspielend.
»Diesen Pharisäer haben wir ja wohl hinter uns«, bemerkt Claudia.
»Und den Abend vor
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