Heldensabbat
Überleben. Im Oktober wird ihm die Anklageschrift zugestellt.
Mit der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof ist um die Weihnachtszeit zu rechnen.
Bis zum Herbst 1942 waren aus dem Lehrer ein Hauptmann und aus seinem Schüler ein Leutnant geworden. Stefan kam unmittelbar nach seinem Urlaub wieder an die Ostfront, und zwar in den Mittelabschnitt zur 4. Panzerdivision, zu der auch die Fünfunddreißiger gehören. Aus diesem Panzerregiment ist inzwischen – wie seine Soldaten spotten – ein Panjeregiment geworden. Die versprochenen Kampfwagen versickern irgendwo auf den überdehnten Nachschubwegen, werden von Partisanen in die Luft gejagt oder von anderen Einheiten kassiert.
Meistens werden die Toten auf den Soldatenfriedhof von Orel geschafft. Mzensk ist Frontstadt. Der Divisionsstab liegt in Woin. Der Stellungskrieg hat sich zwischen den Orten Dumtschino, Scheino, Narischkino, Wolkowo, Dworiki festgefressen.
Hauptmann Faber läßt man noch ein paar Monate in der Heimat, aber der hervorragend qualifizierte Leutnant Hartwig muß als Stoßtruppführer Bahnlinien und Stützpunkte im Infanterieeinsatz sichern oder freikämpfen. Obwohl es zu dieser Zeit im Mittelabschnitt der Ostfront relativ ruhig bleibt und die Heimwehwelle schlimmer ist als das Kampfgeschehen, erleidet die im Winter dezimierte und inzwischen wieder halbwegs aufgefüllte 4. Panzerdivision hohe Verluste durch Rotarmisten und Partisanen wie auch durch Malaria, Ruhr, Wolhynienfieber und Flecktyphus.
Die Verteidigungslinie ist ausgedünnt, weil die Wehrmacht ihre ganze Schlagkraft auf den rechten Flügel verlegt hat. Die wenigen Panzer- und Raupenfahrzeuge werden in einer Alarmeinheit zusammengefaßt. Das Panzerregiment 35 muß seine II. Abteilung für diese Feuerwehr der Front abgeben, in der Leutnant Hartwig in einem reparierten Panzer IV einen Zug übernimmt.
Die deutsche Sommeroffensive 42 rollt im Süden Rußlands. Noch einmal triumphiert im Osten die Blitzkriegtechnik. Die Sowjets müssen wiederum riesige Verluste an Menschen und Material hinnehmen – aber der nächste Winter kommt bestimmt. Hitlers Korporalstrategie – als Obersten Feldherren kann ihn kein Militär mehr bremsen – wird zum Amoklauf zum Kaukasus, in das Donez-Becken und an die Wolga. Der Hasardeur will gleichzeitig in einer exzentrischen Doppelbewegung die Ölfelder von Baku erobern und die Wolga-Metropole Stalingrad nehmen. Obwohl die Heeresgruppe Süd jeden Mann braucht, zieht Hitler fünf Divisionen und den Generalfeldmarschall Erich von Manstein für die Belagerung Leningrads ab. Als die Anglo-Kanadier einen verunglückten Vorstoß nach Dieppe unternehmen, verlegt der Führer und Oberste Feldherr, eine Invasion am Kanal befürchtend, die SS-Divisionen »Leibstandarte« und »Großdeutschland« nach Westen, zwei dringend benötigte Eliteeinheiten. Die deutschen Panzer aber bleiben wegen Geländeschwierigkeiten und Nachschubmangels 60 Kilometer vor den Ölfeldern am Kaspischen Meer liegen.
Die überdehnte Front stellt die Versorgungseinheiten vor unlösbare Probleme. Die Schienenstränge sind hoffnungslos verstopft. Es kommt zu einem 2000 Kilometer langen Stau, der bis nach Schlesien zurückreicht. Nach der Eroberung von Kalatsch tritt die 6. Armee am 19. August, quer durch die 100 Kilometer lange Kalmückensteppe, zum Angriff auf Stalingrad an. An der Wolga stoßen die deutschen Divisionen auf einen Widerstand, wie sie ihn nicht einmal vor Moskau erlebt haben. Die Sowjets zeigen nicht nur neuen Kampfgeist, sie sind auch großzügig mit amerikanischen Hilfslieferungen ausgestattet. Haus um Haus muß erkämpft werden, aber bei der Traditionsfeier am 9. November stellt Hitler fest, daß er Stalingrad bereits genommen habe. Tatsächlich sind neun Zehntel der Stadt erobert, vorläufig.
Trotz aller Sondermeldungen bangt die Heimat um ihre Soldaten und die Front um die Heimat, denn der Luftkrieg über Deutschland wird immer unerträglicher, seitdem die ersten US-Viermot-Bomber in den Kampf eingreifen.
Die Wende an der Ostfront kündigt sich auch im Mittel- und im Nordabschnitt an. Trotz aller Angriffe hält sich Leningrad. Gleichzeitig mit dem Gegenangriff bei Stalingrad am 19. November greifen die Sowjets, deren Kampfstärke auf siebenhundertneunzig Divisionen angewachsen ist, auch die Heeresgruppe Mitte an, schon um ihre Südfront zu entlasten.
Die Alarmeinheit unter Führung des drahtigen Reiteroffiziers Major von Pringsheim steht ununterbrochen im Einsatz. Die
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