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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Gesicht. »Die Schlampe wurde abgeholt – von der Polizei.«
    »Warum?« fragt Stefan betroffen.
    »Die hat's mit einem französischen Kriegsgefangenen getrieben, die Hure«, erklärt der feine Nachbar. »Aber jetzt wird man ihr im Kittchen schon Mores beibringen.«
    Stefan geht wie geschoben zum Bahnhof zurück. Er sitzt im Wartesaal zweiter Klasse und wartet, ohne zu wissen, auf was er wartet. Er ist gleichermaßen zornig auf Lydia wie auf die Nachbarn, die sie denunziert, und auf die Uniformierten, die sie abgeholt haben.
    Der Ober stellt ihm einen Schnaps hin, den er Zivilisten verwehrt. Jetzt erst sieht der Oberfähnrich die Brünette am Nebentisch. Sie ähnelt weder Lydia noch Claudia, aber sie ist jung und frisch und eine Frau. Und sie ist allein. Als sie lächelt, glaubt Stefan, es gelte einem anderen.
    Er dreht sich um, aber hinter ihm ist nur die Wand. Er steht auf und tritt an die junge Frau am Nebentisch heran.
    »Na, ist endlich der Groschen gefallen, Junge?« fragt sie.
    Stefan nickt und organisiert der Unbekannten namens Helga auch einen Schnaps. Und dann noch einen. Sie wohnt ganz in der Nähe. Der Abend ist geritzt und damit die Zukunft für die nächsten drei Tage geregelt. Wer wird denn fragen und vergleichen, wenn er wieder hinaus muß? Der verheizten Generation bleibt wenig Zeit zum Leben wie zur Zärtlichkeit, und so ist die Zweisamkeit flüchtig, zielstrebig und gierig.
    Die Berliner Strafanstalten werden für den Untersuchungsgefangenen Dr. Wolfgang Hartwig zu den Kreuzwegstationen einer endlosen Straße nach Golgatha. In Tegel muß der herzkranke Diabetiker, der auch an Rheuma leidet, viele Nächte auf dem nackten Zementboden schlafen, weil keine Pritsche mehr für ihn frei ist. Seine Gelenke schwellen an, sein Körper rebelliert. Der Zusammenbruch muß kommen. Tage voller Pein. Nächte voller Qual. Die Zeit schiebt sich bei dem Isolierten ineinander wie die Waggons bei einer Eisenbahnkatastrophe. Jeder muß ihm ansehen, daß er am Ende ist, aber für die Wärter gilt das Vorurteil, daß alle Häftlinge Simulanten sind.
    Der gläubige Katholik steht von jeher im täglichen Zwiegespräch mit dem großen Unbekannten. »Dein Wille geschehe«, hat er schon zu einer Zeit gebetet, als er noch nicht wußte, wie schrecklich der Wille Gottes sein kann. Aber ist es der Wille Gottes?
    Gedanken schleichen wie Partisanen in das Grenzland zwischen Glauben und Wissen, aber die religiöse Überzeugung des Todeskandidaten aus Mainbach bleibt unerschüttert: Folgten die Menschen den Geboten des Herrn, wären ihre Verirrungen nicht so entsetzlich.
    So aber ist die Gemeinheit Umgangston, wird selbst Hafterleichterung zur Schikane. Wenn die Wehrlosen im Hof dreißig Minuten frische Luft schöpfen dürfen, machen die Uniformierten mit den rohen Gesichtern die Freistunde mit Pfiffen, Schreien und Stößen zum »Bärentanz«. Oft wird am Ende von Luftalarmen das Licht nicht mehr eingeschaltet.
    Die Sirenen heulen immer häufiger. Mitte Mai greift die Royal Air Force mit tausend Bombern Köln an, zerstört in der lebensfrohen Siebenhunderttausend-Einwohner-Stadt in einer Nacht zwanzigtausend Wohnungen, zweitausendeinhundertfünfunddreißig Gewerbebetriebe und hundertsechs Industrieanlagen. Vierhundertneunundsechzig Menschen verlieren ihr Leben, über fünftausend werden verletzt. Gemessen an späteren Verlusten ist es nur ein erstes Wetterleuchten, das einen furchtbaren Sturm ankündigt.
    Dr. Wolfgang Hartwig weiß, daß sich viele Mainbacher für ihn energisch einsetzen und daß Marie-Luise alles unternimmt, um ihre Sympathieerklärung an die richtige Adresse zu leiten. Sie reißt Zögernde mit; sie bringt sogar Gegner zum Schweigen und kirchliche Würdenträger zur Fürbitte. Sowie Frau Hartwig eine Besuchserlaubnis erhält, reist sie im überfüllten D-Zug, meist stehend, in einer Dreizehn-Stunden-Fahrt nach Berlin, spricht mit dem Verteidiger ihres Mannes, mit seinen Richtern.
    »Ein Todesurteil«, beruhigt sie der Vorsitzende, ein Kammergerichtsrat, »liegt nicht in unserem Interesse.«
    Als Marie-Luise auf ein Fünf-Minuten-Gespräch im Beisein eines Wärters zu ihrem Mann vorgelassen wird, nimmt Wolf die freudige Nachricht zu ihrer Enttäuschung ziemlich teilnahmslos auf. Erst nach der Rückkehr dämmert der Frau des Anwalts, daß er die Worte des Vorsitzenden für eine Lüge oder Finte hält.
    Die Richter des Volksgerichtshofes in den blutroten Roben sind die Erfüllungsgehilfen eines Terrorsystems. Selbst

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