Heldensabbat
der das Thema wechseln wollte. »Alles noch Handarbeit.«
»Mohrenwäsche«, entgegnete der athletische Besatzungsoffizier. »Dich werden sie vermutlich auch noch überlaufen«, spottete er. »Mit jammervollen Beschwörungen, und wenn das nichts hilft, versuchen sie es vielleicht mit Zigaretten, Eiern, Butter und weiß Gott noch was.«
»Kein Appetit«, erwiderte ich. »Da beißen sie auf Granit.«
»Guter Vorsatz«, entgegnete Tarzan. »Aber das wirst du nicht durchstehen. Es gibt solche und andere. Und ich muß dir leider gleich sagen, daß die Militärregierung viel Mist baut und wenig Ahnung von den Verhältnissen in Deutschland hat. Du und ich, wir wissen ja schließlich, wie es wirklich gewesen ist.«
»Sicher«, entgegnete ich. »Aber es ist nicht meine Sache, Entlastungswische auszustellen.«
»Dann wirst du dir eine Menge Feinde machen«, versetzte Captain Stone.
»Ich zittere vor Angst«, blödelte ich.
»Aber du hast auch Freunde«, tröstete mich Tarzan. »Frag nicht, wie die mich deinetwegen – noch dazu ziemlich unnötig – bedrängt haben.«
»Wer?« fragte ich.
»Eine von ihnen war zum Beispiel Sibylle Faber, die Witwe unseres Ordinarius – eine großartige Frau. Und sie hat ihre Probleme. Ihr Vater ist ein dreiviertel Jahr vor Kriegsende gestorben. Da erst konnte Sibylle ganz übersehen, wie der alte Bertram die Firma durch Arisierungsgewinne und Ausbeutung von Zwangsarbeitern hochgebracht hat. Noch in der Nazizeit begann sie unauffällig den unrechtmäßigen Zuwachs wieder abzustoßen. Aber das änderte nichts daran, daß die ›Bertrag‹ unter Property Control geriet, die Vermögensverwaltung durch Beauftragte des Military Government.«
»Hat Sibylle nicht eine Art tätige Reue geleistet?«
»Fraglos«, bestätigte der Captain.
»Und was hat sie überhaupt mit der Raffgier ihres Vaters zu tun?«
»Sie und ihre Mutter sind die Inhaber der Firma und dadurch zwangsläufig auch ihre Nutznießer.«
»Sippenhaftung?« fragte ich.
»Nonsens«, erwiderte Tarzan. »Ein Provisorium bis zur endgültigen Entflechtung. Danach Wiederaufbau. Phönix aus der Asche. Ich hab' da schon meine Pläne.« Wieder tauschte er einen seiner Verschwörerblicke mit Bongo, und ich begriff, daß die Beziehung zwischen den beiden längst über nächtliche Lotterkumpanei hinausreichen mußte.
»Und wie geht es Sibylles Mutter?« fragte ich.
»Recht gut«, erwiderte der US Captain. »Der Kleine beschäftigt Mutter und Großmutter voll. Und ich schirme die beiden ab, soweit es mir möglich ist.«
Der Buick hatte Würzburg erreicht, das heißt, Würzburg war es bis kurz vor Kriegsschluß gewesen, dann hatten zweihundertdreiundzwanzig britische »Lancaster« am 16. März 1945 in siebzehn Minuten das Gesicht der alten Bischofs- und Universitätsstadt bis zur Unkenntlichkeit verwüstet; 20.000 Zentner Spreng- und Brandbomben waren auf das barocke Kleinod herabgefallen und hatten ein historisches Juwel ohnegleichen vernichtet. Das »Tedeum aus Stein«, wie man Mainbachs Nachbarstadt wegen ihrer vielen Kirchen und Klöster genannt hat, war nach dem Todesschrei von fünftausend Menschen verstummt.
Leere Fassaden, Schuttberge, Fensterhöhlen wie ausgestochene Augen. Es wurde mir übel, aber ich zwang mich, die Fingerabdrücke des Krieges und der Barbarei anzusehen. Ich konnte nicht glauben, daß diese Stadt je wiedererstehen würde, wenn auch nur als Kopie unersetzlicher Originalwerte – und das, so dachte ich damals, war vielleicht auch ganz gut so, denn hier am Main stand ein unübersehbares Kriegerdenkmal, frei von Kitsch, Kult und Verherrlichung, das Grabmal des Unbekannten Menschen.
Selbst Bongo bedrückten die Ruinen von Würzburg. Am späten Nachmittag fuhren wir weiter. Es war ein Trost, daß alles grünte und blühte. Für die Natur gab es keine Sieger und Besiegten, keine Ankläger und keine Verfemten, keine Denunzianten und keine Opfer. Die Natur setzte sich über alles hinweg, und sie war einsprachig, und aus Bombentrichtern wuchs das üppigste Grün.
Captain Stone, mein problematischer Jugendfreund, hatte mich nicht nur aus der Gefangenschaft befreit, er führte mir auch vor, wie sensibel ein kräftiger Körper- und Verstandesathlet sein kann, denn jetzt trat er auch noch als Arrangeur meiner Genesung auf. Ich erfaßte es, als der Buick in Dettelbach vor dem Weingut hielt. »Steig aus«, forderte er mich auf. »Du wirst erwartet.«
Sibylle hatte mich wiederholt zu Hans Fabers mütterlicher Tante
Weitere Kostenlose Bücher