Heldensabbat
November 1943.
Wiedervorlage nach Kriegsende. Betrifft: Oberleutnant Stefan Hartwig, Panzerregiment 35, Heimatanschrift Mainbach, Obstmarkt.
Der Obengenannte war bei der Hitlerjugend ein fähiger Fähnleinführer, geriet aber später zunehmend unter den Einfluß des hingerichteten Hochverräters Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartwig, seines Onkels. Er erschien heute auf der Geschäftsstelle der Kreisleitung, um in unflätiger Weise seinen Austritt aus der NSDAP – in die er mit Erreichung des achtzehnten Lebensjahres automatisch aufgenommen worden war – zu erklären.
Versuche des Pg Wimmer, Hartwig zu beruhigen, scheiterten. Ich war zufällig im Parteigebäude anwesend und versuchte meinerseits, den immerhin dekorierten Oberleutnant zur Räson zu bringen. Mein Bemühen quittierte er damit, daß er das Parteiabzeichen mit den Worten auf den Tisch warf: ›Von mir aus kannst du dir das Ding zwischen die Arschbacken stecken.‹
Ich bin mit dem Kreisleiter, Pg Eisenfuß, übereingekommen, daß wir die nötigen Strafmaßnahmen gegen den Abtrünnigen mit Rücksicht auf die Bevölkerung vorläufig, bis zum Endsieg, zurückstellen. Der Mann ist später voll zur Rechenschaft zu ziehen und aus der Volksgemeinschaft auszustoßen!
F.d.R.:
Martin Greifer, HJ-Bannführer.«
»Woher hast du das?«
»Ich habe eine nahezu komplette Aktensammlung über Mainbach angelegt«, versetzte Tarzan. »Das Volksgerichtshofdossier deines Onkels gehört übrigens auch dazu.«
»Kann ich das einsehen?«
»Zu gegebener Zeit.«
»Wann?« fragte ich.
»Wenn du dich einigermaßen erholt hast«, versetzte der Captain. »Es ist keine angenehme Lektüre.«
»Du bist wohl ein hohes Tier bei der Militärregierung.«
»Leider nur in Beraterfunktion, aber da ich Deutschlandspezialist bin, habe ich doch einigen Einfluß.«
»Und was ist aus diesem Schweinehund Greifer geworden?« fragte ich.
»Den halten wir unter Verschluß. Eisenfuß auch. Und Bruckmann. Und Wimmer. Und den SD-Chef Hassler.«
»Seinen Vorgänger auch?«
»Du meinst Panofsky?« fragt der Captain. »Der ist in einem Vernehmungslager.«
»Panofsky hat in Rußland ein bestialisches Mordkommando angeführt.«
Er nickte. »Woher weißt du das?«
»Ich bin zufällig Augenzeuge geworden und, als ich eine Anzeige darüber einreichte, an Panofsky geraten.«
»Augenzeuge?« wiederholte Tarzan interessiert. »Das ist toll. Die fehlen uns nämlich.«
»Dann kannst du mit mir rechnen. Und, soweit sie noch leben, auch noch mit einigen anderen.«
Bongo und ich waren zu einer neuaufgestellten Panzerdivision im Westen versetzt worden, so daß wir nicht wußten, wer bei den Fünfunddreißigern davongekommen war, aber das würden wir schnell in Mainbach erfahren.
»Früher haben wir täglich bis zu siebenhundert Goldfasane und ähnliches Gelichter kassiert. Zur Zeit halten wir siebzigtausend Gestrige unter automatischem Arrest in Internierungslagern. Soweit diese Burschen einander nicht denunzieren, stellen sie sich gegenseitig Persilscheine aus.«
»Was meinst du mit Persilscheinen?« fragte ich.
»Ein Nazi bestätigt einem anderen Nazi, daß er kein Nazi gewesen ist«, erwiderte Captain Stone. »Das ist die Begleitmusik zum Heldensabbat. Was meinst du, wie die Bittsteller auf deine Tante Marie-Luise einstürmen. Ich schätze, daß sie schon ein Kilo Papier für politische Leumundszeugnisse verschrieben hat.«
»Warum das?« fragte ich gereizt.
»Frag sie selbst«, entgegnete der Captain. »Vielleicht kann sie nicht nein sagen. Vielleicht ist sie zu christlich und dadurch zu barmherzig. Barmherzigkeit tut zwar gut in dieser Zeit«, setzte er hinzu, »aber in manchem Fall wird sie zu schierer Unbarmherzigkeit.«
In Mainbach würde einiges auf mich zukommen, aber das wußte ich längst. »Die nutzen die politische Naivität meiner Tante Marie-Luise einfach aus«, erwiderte ich. »Und ihr gutes Herz. Für was brauchen sie eigentlich diese Persilscheine?« fragte ich.
»Für die politische Säuberung. Sie müssen einen Fragebogen ausfüllen, und wenn der nicht blütenweiß ist, kommen sie vor die Spruchkammer«, erläuterte der Captain. »Wenn sie genügend Persilscheine vorlegen, werden sie voraussichtlich als Mitläufer eingestuft, kommen mit einer Bagatellbuße davon und rücken mit der Zeit wieder in ihre alten Stellungen ein. Das ist wie mit schmutzigen Hemden: Du wirfst sie in die Waschmaschine und –«
»Waschmaschinen gibt es bei uns noch nicht«, unterbrach ihn Bongo,
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