Heldensabbat
gesiegt hätte.
In den ersten beiden Stuhlreihen hat das Lehrerkollegium Platz genommen. Dr. Faber sitzt neben Studienrat Färber, der nur Chemie kennt und sonst nichts auf der Welt. Daneben die dunkelhaarige Assessorin Dr. Mühren, eine junge, hübsche Frau mit großen Augen, die mit übereinandergeschlagenen Beinen zurückgelehnt, fein lächelnd, die Rede des Direktors über sich ergehen läßt. Die quicklebendige Philologin geistert wie ein Irrwisch durch das ehrwürdige Gymnasium, umgeben von hölzerner Verehrung der Kollegen oder ihrem stillen Vorwurf, daß so etwas wie sie unter ihnen ist. Wie immer kauert mit glattem, kahlem Kopf Studienprofessor Pfeiffer neben ihr, der einzige Altparteigenosse der Schule. Er spielt sich wie ein heimlicher Direktor auf. Ich müßte jetzt die Rede halten, nicht der da, überlegt er und lächelt verbissen. Benthin, der Zeichenlehrer, denkt an sein Frühstück. Dr. Rixner, ein älterer Herr mit silbergrauen Haaren, wiederholt in Gedanken die unregelmäßigen Verben. Seit er die Zeit nicht mehr begreift, flüchtete er auf eine Insel: das Reich Homers. Stocker, der Musiklehrer, folgt dem »Rex« aufmerksam. SA-Standartenführer im Nebenberuf, stattet er HJ-Führer mit guten Musiknoten aus und läßt die anderen als »Brummer« nachsingen.
Hinter ihm steht Dr. Zapf, seines Wasserkopfes wegen von den Schülern der »Hydro« genannt. Sein Gesicht ist vor Begeisterung angeschwollen wie ein Hahnenkamm. Er ist an der Anstalt der lautstärkste Anhänger des Führers und nur zu gerne bereit, anstelle des Unterrichts seine Stammtischweisheiten zu verzapfen. Seine Zöglinge nutzen das reichlich. »Herr Professor«, fragen sie zu Beginn der Lateinstunde, »was hat der Führer eigentlich gemeint, als er –«
Der »Hydro« fängt sofort das Stichwort auf und schwelgt in Phrasen bis zum Pausenzeichen, das er in seinem Enthusiasmus zum Leidwesen seiner Schüler oft auch noch überhört.
Und weiter spricht der Direktor, kommt von Leónidas zu den letzten Goten, macht von da einen gewaltigen Satz zu Barbarossas Römerzügen, rettet sich in die Befreiungskriege, attackiert den Schandfrieden von Versailles, und das alles zusammen mündet in abgerissenen Sätzen in den heutigen Tag deutscher Geschichtsgröße.
Dr. Faber zählt mit: In achtundzwanzig Superlativen wiederholt sich neunzehnmal das Wort deutsch und wächst neunmal der Führer über sich und den Sprachschatz des Anstaltsleiters hinaus.
Dr. Schütz spricht weiter. Sein Pathos umbrandet den wuchtigen Marmorkopf Goethes im Hintergrund. Und der Dichter, der den Götz von Berlichingen geschrieben hat, scheint mit kalten Lippen zu lächeln, als ihm siebenhundertfach entgegendröhnt: »Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!«
Das Lehrerkollegium umdrängt Doktor Schütz. »Blendend«, sagt Studienprofessor Pfeiffer, der Alt-Pg.
»Meinen Sie?« entgegnet Dr. Schütz geschmeichelt.
»Und so frei und flüssig«, setzt Fräulein Dr. Mühren hinzu. Sie wölbt die volle Unterlippe nach vorne.
Dr. Rixner nickt und schüttelt den Kopf gleichzeitig. Die anderen Lehrkräfte stehen im Hintergrund, murmeln etwas. Unter ihnen Dr. Faber, der einen schnellen Blick des Schulleiters auf seiner Haut wie einen Nadelstich spürt.
Die Jahreszeit ist günstig für die Observierung des Rechtsanwalts Dr. Wolf Hartwig. Jeweils im Spätsommer begehen die Dörfer des Mainbacher Umlands ihre Kirchweihfeste, und die »Kerwa« ist dem Franken heilig. Junge und Alte, Begüterte und Mittellose ziehen in Karawanen zu den Festivals der Freßlust wie der Frömmigkeit: Hallstadt, Kemmern, Zuckenhut, Pödeldorf. Jedes Wochenende ein anderes Kirchweihfest; Schammeisdorf, Friesen, Höfen, Pettstadt, jede Kerwa dauert drei Tage. Lisberg, Trabeisdorf, Mühldorf, Dankenfeld, nicht selten feiert man in zwei verschiedenen Orten, und die Festbesucher müssen dann auf zwei Kirchweihen tanzen: Hochamt, Festumzug, Tanzmusik. Dann kreist für die Kinder der Himmel der Rummelplätze, und ihre Eltern vergleichen gewissenhaft die ellenlange Speisenkarte: Bocksbraten, Gänse, Enten, Schwein in jeder Form, gefüllte Täubchen, Hausmacherwurst. Große Portionen zu kleinen Preisen stellen sich zur Wahl. Dazu der Gerstensaft, vielfach ungespundet oder als Rauchbier, ausgeschenkt in Maßkrügen. Jedes Dorf hat eine Kirche und eine Brauerei, und manche verfügen sogar über zwei, sowohl Gotteshäuser wie Sudstätten.
Die barocke Lebensart der Bürger hatte in dem gesegneten Land schon seit
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