Heldensabbat
Erfüllungsgehilfen mit seinem schieflippigen Lächeln. »Für die Bewegung«, er tippt Bruckmann mit dem Zeigefinger an die Brust. »Und für Sie persönlich.« Er klappt das Dossier zusammen. »Ich will noch einmal mit Martin Greifer sprechen, damit er diesen Fähnleinführer richtig einsetzt. Weitermachen!« setzt er hinzu und stapft hinaus.
Der Hauptsturmführer läßt nicht locker, denkt Bruckmann, und dieser Hartwig bringt mich noch ins Grab. Monatelange Observation: Außer Spesen nichts gewesen. Der Anwalt lebt wie im Schaufenster. Keine krummen Wege. Keine privaten Affären. Aus zweihundert Dossierseiten ergibt sich nicht mehr, als daß es sich bei dem Juristen um einen Mann handelt, der sich von der Partei fernhält. Einen solchen Akt könnte der gewiefte Kriminalist fast über jeden zweiten Mainbacher anlegen. Mit dieser Spreu kann nicht einmal ein so scharfer Hund wie der Erste Staatsanwalt Rindsfell etwas ausrichten.
Einer seiner Leute übergibt ihm den neuesten Wochenbericht der Kirchenüberwachung. In erster Linie sollen seine Spitzel die Predigten der Geistlichen verfolgen und bei dieser Gelegenheit gleich so die Kirchgänger notieren wie früher die Käufer in jüdischen Geschäften. Gotteshäuser aufzusuchen ist im Dritten Reich zwar nicht verboten, aber auch nicht erwünscht. Wer das Gras wachsen hört, weiß längst, daß sich christliche Überlieferung und braune Weltanschauung nicht miteinander vertragen, und ein Beamter wie er hat das Ohr auf der Erde.
Bruckmann zündet sich eine Zigarette an, blättert weiter. Immer die gleichen Namen, dieselben Gesichter. Die Präsenz dieser Frömmler zeigt deutlich, wie recht SD-Chef Panofsky mit seiner Theorie hat, den Domberg als feindliches Bollwerk zu bezeichnen. Manche Mainbacher machen aus dem Kirchenbesuch geradezu eine Demonstration, aber die Politische Polizei interessiert sich mehr für Leute, die ihn verstohlen unternehmen.
Der Kriminaloberkommissar überfliegt die Namen und stutzt. Einer ist neu. Er fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn, hört auf einmal seinen eigenen Atem: Er stieß auf den Namen Bruckmann.
Frieda Bruckmann, geborene Fehr, seine Ehefrau. Dreimal hintereinander bei der Morgenmesse in der Karmeliterkirche beobachtet. In einer einzigen Woche.
Diese Routinemeldung, eine von vielen, wird auch auf dem Schreibtisch des SD-Hauptsturmführers landen, da der Kriminaloberkommissar es nicht wagen kann, sie zu unterschlagen. Er versperrt den Wochenbericht in seinem Schreibtisch und geht vorzeitig nach Hause.
»Noch nicht fertig, das Essen«, sagt die rundliche Hausfrau zu dem Mann mit dem schlagflüssigen Gesicht. »Du bist heute früher dran als sonst.«
»Mir ist der Appetit längst vergangen«, antwortet Bruckmann, schließt die Oberlichter, zieht die Gardinen zu, als könnten sie auch noch den Schall dämpfen. »Wie kommst du dazu, hinter meinem Rücken in die Kirche zu gehen?«
Zuerst will Frieda Bruckmann ausweichen, dann stellt sie sich. »Ich muß doch hinter deinem Rücken gehen«, greift sie den Fehdehandschuh auf. »Weil du es mir verboten hast.«
»Im Grunde wäre es mir wirklich egal«, erwidert ihr Mann. »Jeder nach seiner Fasson – aber denk doch an meine Karriere. Wenn das der Hauptsturmführer erfährt, und er wird es erfahren, dann bring' ich bei ihm kein Bein mehr auf die Erde.«
»Ich lass' mir in dieser Sache nicht dreinreden«, entgegnet die Vierzigjährige trotzig.
»Denk doch an meine Laufbahn, Frieda«, sagt Bruckmann zum zweiten Mal. »Sei vernünftig.«
»Ich will dir mal was sagen«, erwidert die Kirchgängerin und beugt sich zu ihrem Mann hinab. »Mir steht der Herrgott näher als deine Karriere.«
Sie essen schweigend. Ohne Genuss. Sie sprechen auch weiter kein Wort mehr miteinander. Grußlos verläßt er das Haus. Bruckmann – auch Duckmann genannt – geht ins Büro zurück. Auf einmal ist ihm eine Lösung eingefallen.
Er entnimmt seiner Schreibtischschublade den eingesperrten Kirchenbericht und fügt mit einem starren Lächeln bei dem Namen ›Frieda Bruckmann‹ handschriftlich den Vermerk hinzu: »In ihrer Eigenschaft als V-Mann.«
Die ausgebrannte Kuppel der Synagoge starrt wie die dunkle Höhle eines ausgestochenen Riesenauges zum Himmel. Die Menschen gehen scheu vorbei. Die meisten haben betroffene Gesichter. Ein paar lachen. Die verängstigten jüdischen Bürger der Stadt wurden verhaftet oder flüchteten in ihr Lokal, die ›Weiße Taube‹. Aber auch das Gefieder dieses
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