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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Friedenssymbols färbte sich über Nacht rot.
    Hunderteinundneunzig jüdische Gotteshäuser brannten in Deutschland nieder. Sechsundvierzig wurden demoliert. Zwanzigtausend Juden kamen in der Kristallnacht in Haft. Achthundertfünfzehn Geschäfte wurden geplündert, neunundzwanzig Warenhäuser in Brand gesteckt.
    Das Gymnasium ist nur ein paar hundert Meter von der Brandstätte entfernt. Die Lehrer sprechen wenig miteinander an diesem Morgen.
    »Mußte wohl sein«, meint Oberstudiendirektor Dr. Schütz.
    Fräulein Dr. Mühren wirkt an diesem Tag blaß und unausgeschlafen.
    Studienrat Färber denkt: Feuer – Element – Sauerstoff Affinität zweier Stoffe.
    Stocker läßt singen: »Der Gott, der Eisen wachsen ließ …«
    Professor Pfeiffer, der es hört, lacht schallend darüber.
    Dr. Hans Faber steht vor seiner Klasse, müde, erschöpft. »Wir müssen uns allmählich auf das Abitur vorbereiten«, sagt er. »Wie Sie wissen, legt das Ministerium besonderen Wert auf Geschichte. Und da wiederum auf Geschichte der Neuzeit. Und hiermit sind wir beim Thema. Hartwig, zählen Sie doch bitte die historischen Erscheinungen auf, die die Neuzeit einleiten.«
    »Absolutismus, Renaissance, Reformation«, erwidert Stefan beinahe geringschätzig.
    »Gut«, antwortet der Assessor. »Setzen Sie sich, Hartwig. Bauernkrieg«, fährt er dann nachdenklich fort. »Eine echte Erregung, die sich Luft macht. Die in ihren Anfängen berechtigt ist und dann in einem Meer von Blut und Greueln erstickt. Und dadurch das Recht verwirkt.« Er hebt die Stimme. Seine Worte kommen klar und unmißverständlich. »Wo immer Kirchen angezündet werden, schändet sich eine Idee selbst. Brandstiftung ist ein Verbrechen, kein Argument!«
    Die Schüler sehen ihn gebannt an. Jeder der 8 c versteht die Anspielung auf die Kristallnacht, jeder begreift sie. Einige der Siebzehnjährigen nicken. Andere sehen verstört aus. Rolf Bertram starrt mit seltsam leerem Gesicht auf sein Pult. Ein paar zeigen offen den Hass im Gesicht.
    Unter ihnen Stefan Hartwig, der Fähnleinführer. Er schnellt von seinem Sitz hoch, bellt in das Klassenzimmer: »Meinen Sie damit auch Judensynagogen, Herr Dr. Faber?«
    Der Lehrer weicht dem gehässigen Blick seines Schülers nicht aus, er nickt. »Was denken Sie?« fragt er.
    Stefan schweigt.
    »Ja«, bestätigt Dr. Faber, »wo immer Menschen zusammenkommen und zu ihrem Gott beten, zu welchem Gott auch immer, da ist eine Kirche. Ein Andachtsraum. Ein Gotteshaus. Setzen Sie sich, Hartwig.«
    Stefans Gesicht glüht. Jetzt hab' ich dich, denkt er verbissen. Jetzt sitzt du in der Falle. Heute noch gebe ich das weiter. Schluss mit Ihrem Unterricht, Herr Doktor Faber!
    Im Vorraum des HJ-Gebäudes hängen gekreuzte Fahnenstangen wie Jagdspieße. Bannführer Greifer hat eine Führerbesprechung angesetzt. Er war vor Jahren Schüler des Gymnasiums gewesen. Dann bewegte die Stadt eine Sache, die nichts mit der Bewegung zu tun hatte. Und Greifer mußte gehen. Der Hinauswurf aus der Schule ließ in ihm den Entschluß reifen, Politiker zu werden.
    Die Besprechung dauert zwei Stunden. Die HJ-Führer machen sich Notizen.
    »Noch eine Frage?« schließt Greifer.
    »Ich muß dich sprechen, Bannführer«, erwidert Stefan Hartwig. »Allein.«
    Greifer wartet, bis die anderen hinausgegangen sind. »Wo brennt's?«
    »Mein Klassenleiter heißt Dr. Faber. Er ist ein Schwein, er hetzt gegen den Führer.«
    »Gegen den Führer?« fragt der Bannführer mit schmalen Augenschlitzen. »Ein Arschpauker?«
    »Das ist er nicht gerade«, erwidert Stefan.
    »Ein schwarzer Hund?«
    »Das ist er vermutlich auch nicht«, entgegnet der Fähnleinführer.
    »Was dann?« fragt Greifer gereizt.
    »Er ist gegen den Krieg. Gegen die Aufrüstung. Gegen Bauernaufstände. Gegen brennende Klöster –«
    »Ha«, kommentiert Greifer. »Der stinkt noch gegen den Wind. Ein knieweicher Liberaler –«
    »Knieweich ist er auch nicht«, versetzt der HJ-Führer. »Eher schon knochenhart.«
    »Mach mich nicht verrückt«, versetzt der Bannführer grinsend. »Schwarz oder liberal, da dreh' ich die Hand nicht um. Das ist für mich geschissen wie gespien.«
    Die vulgären Worte stoßen Stefan ab. Die hehre Idee des Nationalsozialismus muß sauber bleiben, auch verbal. »Dr. Faber nannte heute den Synagogenbrand eine Gotteslästerung.«
    »Den schnappen wir uns.« Greifer lächelt mit gelben Raucherzähnen. »Du kannst doch stenographieren? Schreib mal mit, wenn er wieder hetzt.«
    »Mach' ich,

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