Heldensabbat
ein alter Herr schon, muß auf einen Haufen Ziegelsteine steigen und dreimal sagen: »Ich bin ein Saujud!« Dann wollen ihn die Rabauken ziehen lassen, aber ein Truppführer reißt den Dolch heraus, stürzt sich auf den Mann, die Frau tritt dazwischen und fängt den Stoß mit ihrem Arm ab.
Das Blut rinnt, die Synagoge brennt, die Schnapsflasche kreist.
Und in dieser Sekunde schlagen die Glocken von den Domtürmen, die wie vier ausgestreckte Zeigefinger der Geschichte das Grab des deutschen Kaisers Heinrich bewachen, die zweite Stunde des grauenden, des grauenhaften Tages.
Dr. Faber zieht Sibylle weiter. Das Mädchen zittert, will etwas sagen, kann es nicht. Auch ihr Begleiter schweigt. Es ist ihm klar geworden, daß er die Braunhemden – trotz allem – noch unterschätzt hat.
Sibylles Lippen sind kalt beim Abschied. »Mein Gott«, murmelt sie noch einmal verstört.
Dr. Hans Faber geht in seine Wohnung; schlafen kann er nicht in dieser Nacht, und als wüßte es sein Freund Dr. Robert Klimm, ruft er ihn gegen 4 Uhr morgens an.
»Will dir nur sagen, Hans, daß du recht hast. Mit jedem Wort.«
»Mit was?«
»Ich soll's dir auch von Claus bestellen. Er hat mich vor einer halben Stunde angerufen. Aus Nürnberg.«
»Nürnberg auch?« fragt Dr. Faber, längst gewohnt, nur noch verschlüsselt zu telefonieren.
»Gibt es etwas Neues?« fragt der Anästhesist.
»Das schon«, erwidert der Freund gedehnt, »aber das ist mehr persönlich.«
Er hört, wie der Arzt lautlos lacht. »Amors Pfeil?« fragt er. »So plötzlich?«
»Nicht so plötzlich«, entgegnet der Germanist. »Was soll's«, springt er ins kalte Wasser. »Ich bin verliebt, Robert, wie ein Primaner.«
»Na endlich mal eine gute Nachricht. Kenn' ich die Glückliche?«
»Sie heißt Sibylle«, antwortet Faber und spricht wie mit Sand zwischen den Zähnen. »Halt dich fest, die Tochter dieses Kugellagerindustriellen.«
Der Freund merkt, wie dem Mann, der unter anderem bei Operationen die Sauerstoffzufuhr zu regeln hat, die Luftwegbleibt.
»Bei dir überrascht mich nichts mehr, Hans«, entgegnet Robert dann. »Du hast dir ja schon immer das Schwerste aussuchen müssen.« Er lacht halblaut, unterschleifig. »Meinen herzlichen Glückwunsch!«
»Ist noch zu früh«, erwidert Dr. Faber und legt den Hörer auf. Durch das Fenster sieht er, daß sich am nächtlichen Himmel noch immer der Feuerschein spiegelt.
Vorübergehend ist am Tag nach der Reichskristallnacht die Politische Polizei mehr mit gejagten Juden befasst als mit bekennenden Christen. Der Kriminaloberkommissar Bruckmann hatte kurz vor Mitternacht ein Fernschreiben aus Berlin erhalten, daß er bei den ›berechtigten Äußerungen des deutschen Volkszorns‹ nicht einzugreifen habe. Befehle sind ihm heilig, noch dazu, wenn sie so bequem sind.
»Das war eine Nacht«, begrüßt ihn Hauptsturmführer Panofsky. »Möchte Ihnen und Ihren Männern noch mein besonderes Lob für Ihr geschicktes Auftreten in der Herzog-Max-Straße aussprechen.« Er nickt dem Gelobten zu. »Ihr Verhalten war genau, wie ich es schätze: lautlos und unauffällig.«
»Danke, Hauptsturmführer.«
Bruckmann verfolgt, wie der SD-Chef den grünen Akt aus dem Schrank holt, das Dossier des Rechtsanwalts Dr. Wolf Hartwig. »Ganz schön umfangreich«, stellt er fest.
»Das schon«, erwidert der Helfershelfer. »Auf den großen Knaller müssen wir immer noch warten.«
»Sachte, Freund«, entgegnet der SD-Mann, heute die gute Laune selbst. »Einen Fuß vor den anderen. Jetzt machen wir erst mal die Juden fertig, dann kommt das nächste Schlachtfest.« Entgegen seinem Wort verharrt Panofsky doch bei seinem Lieblingsthema. »Wie ist es denn mit diesem Hausmädchen gelaufen, das wir Hartwig untergejubelt haben?« fragt er.
»Leider eine Pleite, Hauptsturmführer. Die war zu dumm, um überhaupt zu begreifen, was sie sollte. Und dann hat sie auch noch geklaut und wurde prompt von Frau Hartwig gefeuert. Vorgestern.«
»Und sein Kanzleipersonal?«
»Ausgeschlossen, hier einen V-Mann unterzubringen. Hartwig hat vier Angestellte, und die sind alle schon seit Jahren bei ihm beschäftigt.« Der Polizeibeamte hört aus dem Schweigen seines Dompteurs jetzt doch einen Tadel heraus. »Wir versäumen wirklich nichts – von mir abgesehen arbeiten jetzt zwei Beamte an diesem Fall.«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnet Panofsky. »Und ich hab' Geduld. Ich bin ja auch sicher, daß Sie wissen, um was es geht.« Er dressiert den
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