Heldensabbat
Studentin der Volkswirtschaft, die in Erlangen Vorlesungen hört, nebenbei aber auch noch Sekretariatsarbeiten für ihren Vater erledigt, und der Mann ihrer Wahl nur zufällig begegnen. Wenn sie spätabends zusammenfinden, müssen sie sich sichernd nach Beobachtern umsehen. Das permanente Hindernisrennen hatte in der ersten Zeit seinen sportlichen Reiz, inzwischen ist er ihnen aber längst vergangen. Wenn sie in einer Großstadt leben würden und einfach in ein anderes Quartier umziehen könnten, wo sie keiner kennt – aber Mainbach hat mehr Augen als Pflastersteine, und die Liebenden wissen, daß Verfolger auch mit den Augen die Gejagten steinigen können.
Einmal nimmt Faber Sibylle in seine Wohnung mit. Nach einer halben Stunde muß sie gehen, aber sie kann es nicht, weil sich zwei Frauen, die das Mädchen kennen, im Haus – nur nicht voneinander trennen können. Die Besucherin muß warten, bis die beiden ausgetratscht haben, und das kann lange dauern in einer Mittelstadt, die sich so viel zu erzählen hat, obwohl doch hier so wenig geschieht.
Ein anderes Mal wollen sie zusammen ins Kino gehen. Faber kauft an der hellerleuchteten Kasse die Karten.
Sibylle wartet im dunkleren Hintergrund auf ihn. Als der Freund zurückkommt, schüttelt sie den Kopf. »Sieh zu, daß du die Karten wieder los wirst«, bittet sie ihn, »und lass uns ganz schnell verschwinden.«
Ein Subdirektor der väterlichen Firma, auch ein Kinogänger, ist ihr begegnet. Trotzdem klagt Sibylle nicht, und Hans Faber ist ihr dafür dankbar. Oft liegen Tage zwischen ihren flüchtigen Rendezvous. Die Studentin sieht nicht mehr so frisch und unbeschwert aus wie sonst; sie wirkt jetzt eher blaß und strapaziert.
»Warum isst du so wenig?« fragt die Mutter wiederholt bei Tisch.
Der vielbeschäftigte Vater achtet nicht darauf. Er kümmert sich überhaupt wenig um die Familie und ist jetzt häufiger bei seinem Zweigwerk in München als in Mainbach, wo man bereits munkelt, daß ihn nicht nur fette Rüstungsgeschäfte, sondern auch eine üppige Berlinerin mit roten Haaren dort festhalten.
Am wenigsten scheint sich Frau Bertram selbst für solcherlei Gerede zu interessieren. Sie ist das stille, bescheidene Beiboot im Schlepp eines aufgetakelten Dreimastschoners, mit dem ihr Mann erfolgreich durchs Leben segelt. Trotz stürmischen Winds, trotz Flauten und Halsen ist es noch nicht zum Kentern gekommen. Der Fabrikant scheffelt Hunderttausende, wenn nicht schon Millionen, Mathilde Bertram aber trägt ihre alten Kleider auf und nutzt immer noch die zehn Jahre alte, schäbige Geldbörse.
Wenn sie einkauft, überlegt sie gründlich, ob sie den Erwerb auch nötig hat. Wenn aber die Caritas oder das Rote Kreuz bei ihr vorsprechen, ist sie in einer selbstverständlichen Weise großzügig. An der Stelle, an der bei ihrem Mann Brieftasche und Notizbuch sitzen, trägt Mathilde Herz, und es schlägt sanfter und regelmäßiger für kleine Dinge des Lebens, die sich nicht mehrstellig ausdrücken lassen.
Wenn sie in dem riesigen Wintergarten der Villa Bertram eigenhändig die Blumen gießt, sieht sie aus, als wäre sie selbst eine der Pflanzen, aber eine der bescheidenen, einfachen, nicht so kostspieligen.
Im übrigen ist Mathilde Bertram weder hübsch noch hässlich, weder alt noch jung. Sie hat ein glattes, faltenloses Gesicht. Sie benutzt kaum Schönheitsmittel und hat sie ihrer Meinung nach auch gar nicht nötig.
Im Wintergarten geschieht es, daß sie ihre Tochter neben sich auf einen der Korbstühle zieht. Frau Bertram strickt an einem Pullover. Auf einmal läßt sie die Nadeln sinken. »Möchtest du mir nicht sagen, was eigentlich los ist?« fragt sie mit sanftem Nachdruck.
»Was soll denn los sein, Mama?« antwortet Sibylle.
Die Mutter schüttelt den Kopf. »Aber mit mir solltest du dich wirklich darüber aussprechen. Ich habe Augen im Kopf, liebes Kind. Ich sehe doch, daß mit dir in letzter Zeit etwas nicht stimmt.«
Sibylle schweigt hörbar.
»Verliebt?« fragt Frau Bertram mit einem flüchtigen Lächeln. Sie kann es nicht verhindern, daß ihr dabei eine leichte Röte ins Gesicht steigt, wie stets, wenn Fragen an Quellen rühren, die in ihrer Ehe mit dem Fabrikanten seit langem verschüttet sind.
Sibylle sieht ihre Mutter nicht an. Sie starrt angestrengt auf einen Kaktus zwischen den Gewächsen. »Ja«, antwortet sie schließlich spröde. »Das schon.«
Die Mutter nickt. Sie hat das Stricken wieder aufgenommen. Die Maschen fliegen jetzt schnell und
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