Heldensabbat
tödlicher.
Dr. Faber und Sibylle passieren die Ottostraße, die die beiden Regnitzarme verbindet, biegen in die Herzog-Max-Straße ein.
»Die Synagoge«, sagt Sibylle erschrocken.
Sie kommen näher, sehen vierzig, fünfzig Gestalten um die Brandstelle.
Das Mädchen bleibt plötzlich stehen und lacht. »Da, hast du schon mal so was gesehen – die SA löscht die Synagoge.«
»Löscht?« fragt Dr. Faber hart.
Jetzt erst begreift Sibylle, was vorgefallen sein muß. »Mein Gott«, murmelt sie.
Sie erreichen die Amalienstraße, sind jetzt unmittelbar vor dem brennenden Gotteshaus.
»Weitergehen!« fordert sie Kriminaloberkommissar Bruckmann auf. »Nicht stehenbleiben. Hier gibt's nichts zu sehen.«
»Das ist falsch«, sagt Dr. Faber im Weitergehen halblaut zu Sibylle. »Hier kann man zum Beispiel sehen, wie die Polizei Brandstifter beschützt, statt sie zu verhaften.«
Die Täter haben sich Windjacken über die Braunhemden gezogen. Im Hintergrund glaubt der Assessor auch den Singlehrer Stocker zu erkennen und den Fanatiker Pfeiffer, aber sicher ist er nicht.
Das Feuer strahlt hell in die Nacht, spiegelt sich noch am benachbarten Justizpalast, züngelt über das steinerne Gesicht der »Justitia«, deren Tuch über den Augen in diesen Jahren von einer Hakenkreuzbinde abgelöst wurde. Kalt liegt sie da, die Residenz der Gerechtigkeit, das Domizil würdiger Richter, deren Herzen unter dem braunen Hoheitsabzeichen schlagen.
Das Recht hat in dieser Stadt einen imponierenden Sitz. Aber es sitzt falsch. Denn für das Verbrechen, das in dieser Nacht vor Sibylle und Dr. Faber abrollt, fordert kein Richter Sühne.
Ein Mann steht vor der Synagoge: Kommerzienrat Lenz, der Wohltäter und Ehrenbürger dieser Stadt. Er geht auf die Brandstifter zu, bereit, den braunen Schatten zu überspringen, das Gewicht einer geachteten Persönlichkeit gegen den Terror einzusetzen. Er kommt näher, hebt die Hand, ein weißhaariger, gebeugter Moses, der das Rote Meer teilen will und in der braunen Flut untergehen muß.
Ein junger Bursche in mostrichfarbener Breeches-Hose, der in dem von Lenz großzügig unterstützten Waisenhaus aufwuchs, greift sich den Kommerzienrat, schlägt ihn mit dem Kopf gegen die ausgebrannte Kirchenmauer. Wieder und wieder. So lange, bis Lenz, der der Wohlfahrt dieser Stadt ein Vermögen geschenkt hat, sterbend liegenbleibt.
»Der frißt keine Gänseleber mehr«, triumphiert sein Mörder.
Die Feuerwehr steht Schlauch bei Fuß, die Polizei verbietet ihr das Löschen. »Mehr Benzin«, brüllt ein Parteiführer, »ihr Dummköpfe, könnt nicht mal eine Judenburg anzünden.« Im gleichen Moment werden neue Kanister angeschleppt und durch ein Seitenfenster geworfen. Ein junger Bursche im Senfhemd hält die hohle Hand vor den Mund und grölt: »Jehova schwitzt.«
Sibylles Augen tränen. Der Rauch beizt ihre Augen. Sie lehnt leicht an Dr. Faber und zittert. Der Assessor nimmt den Blick nicht von dem brennenden Gotteshaus; seine Augen wollen sich alle Einzelheiten dieses Frevels für alle Zeiten einprägen.
Die Brandstifter sind betrunken. Das Bier stützt ihre Weltanschauung. Vor dem Attentat waren sie von Kneipe zu Kneipe gezogen. Je unsicherer sie auf den Beinen standen, desto blutrünstiger wurden ihre Drohungen. Der Führer hielt sie heute zechfrei. Die Mordbrenner wußten, daß sich die Instinkte, die sie einst zur Bewegung geführt hatten, heute ausleben durften: die Lust, in Massen zu heulen; die Wonne, in Horden zu prügeln; die Gier, in Haufen zu plündern. So zogen sie vor die Synagoge. Vor dem Eingang hatten sie ein paar Minuten unschlüssig gestanden, nicht von der Würde des Ortes gebannt, sondern von einem massiven Eisengitter aufgehalten. Dann schlug einer von ihnen das Eisenfenster ein und schwang sich in das Innere. Die anderen folgten, soweit sie ihre rundlichen Körper durch den schmalen Einstieg zwängen konnten. Die SA-Leute spielten mit silbernen Leuchtern Fußball, fanden Zylinderhüte, stülpten sie über ihre Köpfe und lachten schallend. Andere räumten wertvolle Gebetsteppiche auf die Seite, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu stehlen. Dreimal ging das Feuer wieder aus. Dann loderte Benzin wider Gott.
Inzwischen stehen die anderen Mordbrenner vor dem Gebäude Schmiere. Sie vertreiben sich dabei die Zeit auf ihre Weise, verprügeln Passanten, trinken aus der Flasche, übergeben sich oder singen das Horst-Wessel-Lied. Ein jüdisches Ehepaar wird in den Lichtkreis gezerrt. Der Mann,
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