Heldensabbat
geschickt. Sie räuspert sich. »Aber sicher unglücklich verliebt?« forscht sie weiter.
Sibylle lächelt gequält. »Ja und nein.«
»So, so«, stellt Frau Bertram fest. »Du sprichst wie die Pythia zu Delphi.«
Sibylle steht langsam auf. Der Korbstuhl kracht.
Die Mama zwinkert hinter funkelnden Brillengläsern. »Möchtest du mir nicht sagen, wer es ist?« fragt sie scheinbar ohne Neugierde.
»Ach Mama, bitte«, versetzt das hübsche Mädchen gepresst.
Frau Bertram hebt das Gestrickte vom Schoß, hält es von sich entfernt, betrachtet es aufmerksam, wie um zu prüfen, ob die Maschen auch alle richtig sitzen. Dann sagt sie: »Dr. Faber ist es, der Klassenleiter deines Bruders? Rolf sagt, er sei ein prächtiger Mensch, bis auf seine – seine politische Einstellung.«
»Er kann keine Kompromisse machen«, erwidert Sibylle. »Das spricht doch eigentlich für ihn.«
Die Mutter nickt zögernd. »Aber wie stellst du dir das mit Vater vor?« fragt sie behutsam.
»Schlimm«, entgegnet das Mädchen mit den brünetten Haaren und den sicheren Augen. »Ich – ich meine wir – Hans und ich – wollen uns ihm stellen.«
»Wann?«
»So bald wie möglich«, antwortet Sibylle. »Spätestens nach meinem Examen. Ich möchte nur zuvor noch wissen, was du von ihm hältst, Mutter.«
»Warum hast du dann nicht längst mit mir über ihn gesprochen? Kein Vertrauen?«
»Doch«, erwidert die Zweiundzwanzigjährige. »Aber du bist mir jetzt zuvorgekommen, ich hab's von Tag zu Tag verschoben. Ich war nicht sehr mutig, Mutter.«
»Gut«, sagt die Frau des Fabrikanten und legt ihr Strickzeug zusammen, »ich will ihn kennenlernen, und zwar so bald wie möglich. Lad ihn doch zum Kaffee zu uns ein.«
»Das würdest du tun?« fragt Sibylle aufgeregt.
»Ich will dir mal was sagen: Das Glück meines Kindes ist mir wichtiger als der Frieden im Haus.« Sibylle umarmt stürmisch die stille Frau mit dem großen Herzen. Nur die drei Wellensittiche in ihrem goldenen Käfig schwatzen aufgeregt weiter.
Seit Monaten versucht Rechtsanwalt Vollhals, dessen Gewissen dehnbar und faltig ist wie ein Kängurubeutel, in der Paßaffäre Steinbeil weiterzukommen. So lange hat er antichambriert, souffliert und intrigiert, hat halbe Zusagen gesammelt und sie doch nicht zu einem Ganzen zusammenfügen können.
Solcherlei Pattsituationen sind ihm nicht neu. Der wendige Jurist bleibt weiter am Ball. Er ist kein forscher Mittelstürmer, aber einer, der häufig Abstaubertore schießt. Jedes Zechgelage mit den Goldfasanen der Kreisleitung nutzt er, und jede Gefälligkeit, die er ihnen gratis erweist, läßt er sich doch vergüten. Irgendwann hat er dabei Glück, wie jetzt, da der Leiter der SD-Außenstelle mit seinem Privatwagen einen vermutlich schuldhaften Unfall gebaut hat und der Schadensersatz eine Ermessensfrage ist. Dr. Vollhals aber vertritt zufällig auch die Versicherungsfirma, die für den Schaden aufzukommen hat. Er spricht in dieser Sache selbst bei Panofsky vor und nutzt die Gelegenheit, am Rande des Gesprächs auf den Antrag Steinbeil zu sprechen zu kommen. »Ich habe veranlaßt, Herr Hauptsturmführer, daß Ihr Schaden schnellstens, und zwar auf das großzügigste, reguliert wird. Ich bin sicher, daß ich Ihnen noch in dieser Woche einen wirklich angemessenen Betrag überweisen lassen kann. Es freut mich, daß ich Ihnen behilflich sein konnte, Herr Panofsky.« Nach einer berechneten Kunstpause setzt er übergangslos hinzu: »Ich will jetzt wirklich die Gelegenheit nicht nutzen, Sie in dieser leidigen Steinbeil-Geschichte zu drängen, aber irgendwo möchte ich die Sache nun doch abschließen. Darf ich Sie fragen, wann Sie sich entscheiden werden?«
Der fahlblonde Mecklenburger betrachtet Vollhals, als hätte er ihn nicht verstanden. Er sieht das Parteiabzeichen auf seinem Revers; einer dieser Knopfloch-Deutschen, sagt er sich, die das Blechding vermutlich gleich zwanzigmal gekauft und an jede Jacke gesteckt haben, um ja nie nackt einem echten Nationalsozialisten gegenüberzustehen. Der färbt auch noch den Schnaps braun, den er seinen Freunden von der Kreisleitung anbietet.
»Steinbeil«, wiederholt der Anwalt, als müßte er Panofskys Erinnerung auffrischen. »Sie wissen doch, der Primaner mit den Großeltern in der Schweiz.«
Der SD-Mann nickt mit krummen Lippen. »Die Mutter hat doch längst ihren Paß wieder.«
»Es handelt sich um ihren Sohn Peter. Sie kann ihn nicht allein hier lassen.«
»Na, wir passen schon auf ihn auf«,
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