Heldensabbat
nächsten Grog will er sich vorsichtig hinausschleichen. Er hat nunmehr den Mut, den er freilich mehr dem Alkohol als seiner Führerqualität verdankt.
»Auch müde?« fragt Dr. Faber aus dem Hintergrund des Raums.
Die Jungen dürfen eine Stunde länger aufbleiben als die Mädchen.
»Ziemlich«, lügt er. »Schließlich möchte ich Sie morgen am Skihang stehen lassen.«
»Versuchen Sie's.« Dr. Faber sieht ihm einen Moment nach.
Peter Steinbeil, Rolf Bertram und Benno Metzger haben sich an die Theke zurückgezogen. Sie haben leere Börsen und leere Gläser, kommen sich aber vor wie Feuerwassertrinker auf den Spuren Winnetous, des Apachenhäuptlings.
»Schau dir diesen Stefan an«, sagt Rolf. »Ich glaube, der marschiert wieder mal an der Spitze: hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie ein Windhund –«
»Und spitz wie Nachbars Lumpi«, sagt Benno.
»Halt die Fresse, sonst muß ich sie dir polieren«, versetzt Tarzan grinsend. »So spricht man nicht über seinen Fähnleinführer.«
»Wir sind doch nicht im Dienst«, entgegnet Benno mit schwerer Zunge, »und Stefan bestimmt auch nicht.«
In den Klamotten wirft sich der Primus auf die Pritsche des Gemeinschaftssaals. Die Balken über ihm knarren leicht. Dort oben sind die Mädchen! Claudia im Zimmer über ihm.
Dann versucht er sich überhaupt nichts mehr vorzustellen. Aber selbst die Kernsprüche Baidur von Schirachs können seine Phantasie nicht dämpfen. Im Gegenteil.
Dann knarren die Balken über ihm nicht mehr. Er hört nur noch seinen Atem. Er ist allein im Schlafraum, fährt von der Pritsche hoch, geht den Korridor entlang, hört von unten her das Lachen seiner Mitschüler, schleicht in Socken die Stiege hinauf, Schritt für Schritt. Er zittert, als er leise an die Tür klopft. »Claudia«, flüstert er heiser.
Nun ist es nicht mehr rückgängig zu machen. Die Tür öffnet sich, und er steht in der Dunkelheit vor ihr.
»Was ist?« fragt das Mädchen halblaut.
»Ich bin's«, antwortet er leise, verwirrt. Seine Finger tasten an der Wand entlang nach dem Lichtschalter.
Sie müssen sich beide erst an die Helligkeit gewöhnen. Claudia wickelt sich fester in ihre Decke.
Stefan versucht zu lächeln, aber das verunglückt gründlich.
»Ich wollte dich noch mal besuchen.« Er sieht nur ihre Augen, die unruhig hin und her gleiten. »Es ist doch unser letzter Abend«, keucht er.
»Mach die Tür zu«, erwidert Claudia gepresst.
Dann steht er wieder vor ihr.
»Wenn einer kommt«, flüstert Claudia.
»Bestimmt nicht«, entgegnet er hastig. »Ich geh' ja auch gleich wieder.« Dann setzt er sich zu ihr. Sein Herz macht ein paar schnelle Schläge. Sein Brustkorb bläht sich, fühlt sich an wie ein Luftballon, der gleich platzen muß. Er hält die Hände verlegen auf den Knien, spürt die Trockenheit in der Kehle. Dann geht sein Blick aufwärts. Er hat noch nicht gesehen, wie es ist, wenn Mädchenhaare auf einem Kissen ausgebreitet liegen.
Er will sie streicheln, aber Claudia bäumt sich auf, krallt sich an ihrer Decke fest, stößt einen kleinen spitzen Schrei aus.
Stefan wird so schwindlig, als hätte er den Grog nicht getrunken, sondern injiziert bekommen.
Dann ermattet Claudias Widerstand. Echt war er nie, nicht wirklich echt, nur anerzogen.
»Gib mir einen Kuss, Stefan«, sagt sie schlüssig und lockend zugleich.
Er beugt sich über sie. Ihre bloßen Arme schälen sich wieder aus der Decke.
Ein Mühlstein hätte ihn nicht mächtiger in die Tiefe ziehen können. Er sinkt und sinkt, und der Untergang ist herrlich.
Zum ersten Mal küsst er Claudia so. Das Mädchen lehrt es ihn, obwohl sie es selbst nicht kann. Stefan fühlt, wie sie zittert. Er hat noch nie gewußt, wie lebendig Claudia ist. Er weiß überhaupt nichts.
Eine wilde Lohe schlägt hoch.
Auch Claudia erlebt die Stichflamme des Verlangens. »Du«, sagt sie mit heiserer Stimme. Sie ist bereit, bereit zu allem.
Seine Hand tastet sich an ihrem Nacken entlang, findet den Ausschnitt, streichelt die Rundung. Stefan spürt, wie sich die Knospe aufrichtet, hört seinen Atem. Sein ganzer Körper wächst ihr entgegen.
Claudia hält stand, reckt sich ihm entgegen.
Plötzlich ist es aus. Vorbei.
Sie sind nicht mehr allein.
Absturz, denkt der Junge.
»Einen Moment, Stefan Hartwig«, sagt eine ruhige Stimme von der Tür her.
Es ist Dr. Faber.
Aufprall, spürt der Junge. Er ist dem Mann, den er dem Bannführer ans Messer liefern wollte, in die Falle gegangen. Einen Moment lang hadert
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