Heldensabbat
österliche KdF-Reise nach Italien zugeteilt bekommen. Mein Vater hat sie meinem Bruder Rolf und mir zu Ostern geschenkt. Wir reisen auf Sammelvisum, keinerlei Vorbereitungen notwendig. Gültiger Personalausweis genügt. KdF heißt übrigens Kraft durch Freude.«
»Aber das weiß ich doch, Sibylle«, versetzt er und wundert sich über ihre Umständlichkeit.
»Und jetzt kommt der Clou, mein Lieber, auch wenn ich sehe, wie sich deine Denkerstirne runzelt: Mein Bruder Rolf weiß alles über uns. Seit Wochen.«
»Und schweigt?«
»Er hält sich raus«, präzisiert Sibylle. »Wir stehen bestens zueinander. Er sieht zu mir auf wie zu einem Götzenbild.«
»Wie ich, Sibylle –«
»Schön«, sagt sie, »aber ich bin kein Götzenbild. Und auch nicht unberührbar, kapiert?«
Faber hat sie noch nie so angriffslustig erlebt. Er muß dagegen ankämpfen, von seinem Entzücken nicht mitgerissen zu werden.
»Rolf«, erklärt Sibylle, »fährt nach Bad Tölz zur Schwester meiner Mutter, seiner Lieblingstante; sie hat dort ein kleines Gut. Und in München startet der Omnibus für Italien mit mir – und mit dir.«
Faber begreift es nicht im ersten Moment.
»Und dann – sole, vino, amore. Vierzehn Tage lang. Genau während deiner Osterferien. Kein Blick auf die Uhr. Keine Angst, die Nachbarn könnten lauschen. Keine scheuen Zärtlichkeiten, sondern wilde. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, daß man uns ein Doppelzimmer gibt«, sagte sie unbefangen. »Sonst müssen wir uns halt von Nacht zu Nacht einigen, ob du zu mir kommst oder ich zu dir.«
»Sibylle –«, erwidert Faber.
»Keinen Verweis, Herr Professor«, entgegnet sie. »Ich bin überdreht, vielleicht sogar frivol. Aber ich weiß, was ich will.« Sie steht auf, geht auf den Pädagogen zu. »Und was ich will – das bist du.«
»Aber das kommt doch heraus – und die Folgen –«
»– tragen wir beide«, antwortet Sibylle. »Du stellst deinen Mann, und ich werde die Frau dieses Mannes.«
»Es ist herrlich – aber du bist viel zu spontan, um zu bedenken –«
»Und jetzt stell' ich dir ein Ultimatum à la Schütz«, unterbricht sie ihn. »Entweder Zustimmung zu unserer Italienreise binnen einer Woche –«
»Oder?«
»Trennung«, erwidert Sibylle. »Obwohl ich nicht weiß, wie ich das schaffen soll.«
»Also Nötigung«, entgegnet Faber überrumpelt und doch schon halb verführt.
»Du hast recht«, antwortet sie. »Aber ausschließlich zu unseren Gunsten.«
Faber sieht Sibylle nach und starrt noch minutenlang auf die Tür, durch die sie längst gegangen ist.
Der 20. April rückt immer näher. Direktor Dr. Schütz hat sich in den letzten drei Tagen nicht sehen lassen. Seine Drohung hängt über Dr. Faber wie eine Frühjahrslawine am Südhang. Der Zweifrontenkrieg, den der Assessor mit sich führen muß, macht ihn langsam mürbe. Zwischen die Berge der Verzweiflung schlängelt sich ein schmaler Hohlweg der Hoffnung: Wegen der Weigerung, in die Partei einzutreten, redet sich der junge Lehrer ein, können sie mich nicht von der Schule verweisen.
Aber mit jedem Tag verkürzt sich die Galgenfrist um vierundzwanzig Stunden, wird die Lage für den Klassenleiter der 8 c düsterer. Er fühlt sich in der Situation eines Todeskandidaten, der die letzten Tage vor der Hinrichtung auf dem Kalender abhakt und doch auf eine Begnadigung setzt.
Die Stadt rüstet sich zum fünfzigsten Geburtstag des mühselig eingebürgerten Papierdeutschen. Der VDA zieht blaue Kerzen. Der Reichskolonialbund hört Vorträge über die Bekämpfung der Malaria. Der NS-Rechtswahrerbund läßt sich mit ›gesundem Volksempfinden‹ impfen. Der BDM strickt Wollstrümpfe in Feldgrau. Die Goldfasanen setzen ihre holprigen Festtagsreden auf. Die Redakteure in den Zeitungen versuchen, die Superlative des Vorjahres noch zu steigern. Sie alle vegetieren in dem geistigen Ghetto ihrer braunen Lizenz.
Die Reichskulturkammer brütet entarteten Kitsch aus. Was Kunst ist, bestimmt der Klumpfuß. Hitlers Maler malen willig. Die Schwätzer dichten, und die Dichter schwätzen. Die Blinden klatschen, und die Lahmen marschieren. Die NS-Gipsgiganten modellieren Riesendamen, deren Brüste zehnmal so groß sind wie der Kopf des Führers.
Die Schulen steuern Aufsätze bei. »Was schenke ich meinem Führer zum Geburtstag?« hat man von der vierten bis zur achten Klasse zu beantworten.
Auch Dr. Fabers 8 c stöhnt über dieses Thema. Während der Klassenleiter sonst bei Schulaufgaben immer Hilfestellung
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