Heldensabbat
entschuldigen«, haspelt Kunzog herunter.
Die Schüler starren ihm nach. Dann fahren die Köpfe herum. Der kleine Sterzbach in der dritten Bankreihe weint plötzlich, will das Schluchzen unterdrücken, aber er verschlimmert es dadurch nur.
Dr. Faber geht auf ihn zu. Sein Gesicht wirkt gelassen und unbewegt, als er ihn fragt: »Was haben Sie, Sterzbach?«
»Das Kreuz«, stöhnt der Schüler, »das ist doch –«
»Was ist es?«
Sterzbach schweigt erschrocken. Er fühlt die Blicke seiner Mitschüler auf seinem Gesicht. Dann gleiten seine Augen zur Wand, unter das Hitlerbild, wo der Umriss des entfernten Kreuzes noch deutlich zu sehen ist.
»Es ist ja noch da«, sagt Faber leise.
Der Junge starrt ihn mit großen Augen an.
»Es ist nur ein Symbol«, setzt der Klassenleiter hinzu. »Symbole hängen an der Wand.« Er erhebt die Stimme: »Aber der Glaube sitzt im Herzen.« Er geht zu seinem Katheder zurück, setzt sich auf den Stuhl, sieht seine Schüler der Reihe nach an, blickt auf seine Uhr und sagt in die plötzliche Stille, in die nervöse Spannung hinein: »Ihr habt noch vierzig Minuten Zeit, um niederzuschreiben, was ihr Adolf Hitler zum Geburtstag schenkt.«
Als das Klingelzeichen das Ende der Klassenarbeit anzeigt, dämmert es wieder einigen Schülern der 8 c mehr, was die Stunde geschlagen hat.
Dr. Schütz wurde vormittags um 9 Uhr in das Städtische Krankenhaus eingeliefert. Der Hausarzt hatte die Schmerzen, an denen der Patient seit zwei Tagen laborierte, richtig als Blinddarmreizung diagnostiziert. Es geht alles so schnell, daß der Kranke nicht einmal mehr seine Schule verständigen kann.
Dann tastet der Professor die Leistengegend ab und nickt. »Appendix«, bestätigt er die Erstdiagnose. Er wendet sich an den Patienten. »Vielleicht ließe sich eine Operation vermeiden«, bemerkt er ohne Überzeugung, »aber ich bin dafür, daß wir Ihnen den Blinddarm herausnehmen.«
Der Kranke starrt den Chefarzt mit erschrockenen Augen an.
»Stellen Sie sich vor«, fährt der Professor fort, »sooft Sie künftig Leibschmerzen haben, bei jeder Magenverstimmung, müßten Sie sich vor Ihrem Blinddarm fürchten. Ihr Herz ist soweit in Ordnung und die Operation eine Routinesache.«
»Sie meinen, daß sie gefahrlos –«
»Ich bin Chirurg«, erwidert Professor Lobersdorff, »kein Hellseher. Komplikationen können sich immer ergeben, sind aber in Ihrem Fall nicht zu erwarten.«
Der Patient schweigt, und der Arzt bewertet es als Zustimmung. »Bereiten Sie die Operation für zehn Uhr vor«, sagt er zu Schwester Alexandra, »und verständigen Sie bitte Dr. Klimm.« Er dreht sich noch einmal nach dem Patienten um. »Wenn Sie geistlichen Zuspruch wünschen –«, bemerkt er zögernd.
»So – so schlimm?« fragt Dr. Schütz ängstlich.
»Nicht jeder spricht mit dem Pfarrer erst, wenn es schlimm um ihn steht«, weist ihn Lobersdorff zurecht.
»Bitte rufen Sie den Pastor, Herr Professor«, bittet der Patient. Sein blasses Gesicht ist auf einmal gerötet. Er fürchtet sich. Der Karbolgeruch legt sich auf seinen Brustkasten. Die lautlos hin und her huschenden Krankenschwestern mit den leise zitternden Flügelhauben werden für ihn zu Schreckgespenstern, die sterile Atmosphäre der weißen Sauberkeit zu einer gefährlichen, endlosen Schneewüste. Er hat Angst, sich operieren zu lassen, und er hat noch größere Angst, sich nicht operieren zu lassen.
Dann kommt der Geistliche. Der Patient wird in einen Nebenraum gebracht und mit ihm allein gelassen, während geschickte Hände die Operation vorbereiten.
Schwester Alexandra sucht inzwischen den Assistenzarzt Robert Klimm, den Freund Dr. Fabers, einen der ›Drei Musketiere‹. Der junge Mediziner steht im Garten, raucht eine Zigarette und reckt sein Gesicht der kräftigen Frühlingssonne entgegen. Auf den Bänken der gepflegten Anlage räkeln sich die Genesenden. Rechts vom Krankenhaus zieht langsam und selbstbewusst die Regnitz dem Main entgegen, links, auf der Straße nach Schweinfurt, rasseln die Ketten einer Panzerkolonne.
»Ich komme sofort«, erwidert Dr. Klimm. Er geht in den Operationssaal, wäscht sich die Hände und begibt sich in den Narkoseraum.
Der Patient ist auf einem fahrbaren Tisch festgeschnallt.
»Dr. Klimm«, stellt sich der Assistenzarzt vor und lächelt flüchtig.
Der Kranke nennt seinen Namen undeutlich. Dr. Klimm versteht ihn nicht gleich. Er ist ihm auch gleichgültig. Täglich wechseln die Köpfe, die Fälle. Und der junge Arzt
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