Heldenstellung
Unterschrift der Mutter gefälscht und dabei deren Namen falsch geschrieben hat.
»Wird das nicht mit Halskrause behandelt?«, fragt diejenige der beiden Teilnehmerinnen, die sehr nach reichem Töchterchen aussieht.
»Da müsste ich jetzt meinen Arzt fragen«, entgegne ich.
Sie schaut mich neunmalklug an. »Nicht nötig, ich habe einen Doktor in Medizin.«
»Na, da gratuliere ich aber.«
Einer der vier Männer sieht noch sehr jung und blass aus, einer kräftig, einer indisch, und der vierte kommt mir irgendwie bekannt vor. Jessica drückt mir ein Glas in die Hand, und wir stoßen an.
»Schön hier«, versuche ich das Eis zu brechen. »Vor allem Sie.«
Jessica ignoriert die Schmeichelei. »Wer die ganze Zeit von einem Flieger zum anderen rennt, freut sich, wenn er zwischendurch mal irgendwo zwei Stunden Aufenthalt hat, duschen, etwas essen und dreimal tief durchatmen kann.« Sie blickt von einem Anwärter zum nächsten, als würde sie jeden einzelnen auf Stressresistenz prüfen. Dann trinkt sie einen Schluck Champagner, wobei ein Tropfen an ihrer Unterlippe herabperlt. Sie zieht die Lippe kurz ein, um den Tropfen verschwinden zu lassen.
Die beiden Frauen hängen genauso an dieser Lippe wie die Männer. Plötzlich scheint alles in Zeitlippe, äh, Zeitlupe abzulaufen, und ich meine durch die Lautsprecher Serge Gainsbourg zu hören: Je t’aime, moi non plus!
»Also, auf das Recruiting«, ruft Jessica, und wir stoßen noch mal an. »In zwanzig Minuten checken wir ein, bis dahin machen wir eine kurze Vorstellungsrunde.«
Der Inder und der junge Typ ergreifen gleichzeitig das Wort, keiner hört auf zu sprechen. Jessica schaut aufmerksam zu. Schließlich setzt sich der Junge durch, der Inder deutet lächelnd mit dem Zeigefinger auf ihn und überlässt ihm das Wort. Thomas heißt er, sieht aus wie ein Einserabiturient, war Schulsprecher, hat nebenbei mit behinderten (er sagt »benachteiligten«) Menschen gearbeitet und einen Debattierclub geleitet. Er sagt »Slam Poetry«. »Ach ja, und ich war mal Deutscher Meister im Paartanz«, erzählt er.
Auch der Inder, Jayant (»Ihr könnt mich Jay nennen«), hat eine beeindruckende Vita: eine Klasse übersprungen, Auslandsaufenthalt, Stipendium für amerikanische Elite-Unis, trotzdem Zeit, um Brunnen in Afrika zu bauen, das Studium in Bestzeit zu absolvieren und nebenbei im Callcenter seines Cousins in Kalkutta zu arbeiten – »aber das ist eher ein Hobby«, erzählt er.
Die anderen sehen sich betreten an.
»War ein Scherz!«, erklärt er und blökt vor Lachen. Sofort stimmt der Rest ein. Die Lebensläufe der beiden Frauen klingen ähnlich: Einser-Abitur, summa cum laude- Studienabschluss, die eine mit Doktortitel, die andere ohne, eine ist reich und abgebrüht, die andere wird offenbar durch den Arbeiterkind-Minderwertigkeitskomplex angespornt.
Der Größte im Bunde, ein Prahlhans namens Greg, flüstert mir »Money und Nanni« ins Ohr, um gleich darauf die beiden zahnpastatauglich anzulächeln. Greg hat schon beim Konkurrenten von Schnaidt-Consulting Praktika gemacht.
Nach ihm stellt sich der Typ vor, der mir bekannt vorkommt. Er heißt Ben. »Ich bin eigentlich kein Unternehmensberater«, sagt er traurig. »Ich habe Kunstgeschichte studiert.« Er schaut mir in die Augen. »Dann bin ich Vater geworden. Weil ich mit Kunstgeschichte kein Geld verdienen konnte, habe ich im Best-Business-Buddies-Club als Techniker gearbeitet . . .«
Oh Karma, du hinterfotzige Rache der Friedfertigen.
». . . bis Frederick die Uhr seines Vaters geklaut hat, wofür man Ben gefeuert hat und er schließlich bei uns gelandet ist«, ergänzt Jessica den Satz.
Stille.
Zum Glück beginnt Jay erneut, dröhnend zu lachen. Die anderen stimmen ein, bis auf Ben und mich. Offenbar sind Lachkanonen ein probates Mittel gegen unangenehme Nachrichten.
Der Typ tritt auf der Stelle. »Ja, klingt wie ein schlechter Scherz«, sagt Ben leise und starrt mich finster an.
Jessica verteilt mit den Bordpässen silberne Plastikkarten: »Unser Office hat es überprüft: Bisher ist keiner von euch Frequent Traveller. Jetzt seid ihr es alle. Und da ist nach oben noch viel Platz.« Sie sieht auf ihre Uhr. »In zehn Minuten beginnt eure Reise in eine goldene Zukunft«, verkündet sie.
Wenig später sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben in der Businessclass. Ach, ist das schön, im Flugzeug die Beine auszustrecken. Neben mir hat Thomas Platz genommen, der junge Strebertyp. Nachdem ich mir zwanzig
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