Heldenstellung
Öko-Förderprogramme der Regierung, schauen uns die letzten Wahlkampfthemen der Grünen an, recherchieren Artikel über Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft. Wir werten Tabellen über Stromerzeugung und Stromverbrauch aus, schreiben E-Mails an Initiativen gegen Atomstrom, das Berliner Fitness-Studio und die amerikanische Konkurrenz.
Dabei wird mir immer klarer, dass wir hier nicht einfach ein Konzept übernehmen dürfen, sondern versuchen müssen, die Stromerzeugung über die klassischen Laufbänder hinaus auch für Kraftmaschinen, Hanteln und alle anderen Fitnessgeräte möglich zu machen. Je mehr ich mich in die Materie einarbeite, umso mehr wird mir klar, dass Khamroff recht hat: Wir können hier etwas Gutes, etwas Besonderes schaffen, das ganze Thema völlig neu aufgreifen und vermarkten. Die große Gruppe der Lohas , der Menschen also, die sich den Lifestyle of health and sustainability auf die Fahnen geschrieben haben, all diese jungen, klugen und gut verdienenden Leute müssen wir erreichen. Es sind Menschen wie wir. Wir arbeiten hier nicht für irgendeine Zielgruppe, sondern für uns selbst. Denn mit EcoFit können wir die Welt ein bisschen besser zu machen.«
»Ich habe noch eine Bitte«, sage ich um zwei Uhr morgens, während die anderen ihre Sachen zusammenräumen. Dann erzähle ich ihnen von dem Yogafilm Der atmende Gott und dass ich ihn dringend für die Recherche brauche.
»Kein Problem«, sagt Jay. »Ich bestelle uns aus Indien ein Presseexemplar.«
»Aber du bist doch gar kein Journalist.«
»Das wissen die ja nicht.«
Daheim bin ich zu aufgekratzt, um ins Bett zu gehen. Ich fange an, die Küche aufzuräumen, komme mir aber schnell albern vor, weil die sowieso schon ordentlich ist. Was ist bloß mit Jessica los? Steht die auf Sadomaso? Ich dachte immer, das sei eine Erfindung der Erotikindustrie und gar kein echter Trend. Aber seit Shades of Grey ist ja alles erlaubt. Blöderweise kenne ich mich damit überhaupt nicht aus, und ehrlich gesagt habe ich auch gar keine Lust, jemanden zu schlagen. Schon gar keine Frau.
Ist es das, was sie will?
Vielleicht sollte ich sie einfach fragen. Aber ist das nicht etwas zu intim? Jetzt bräuchte ich tatsächlich mal den Rat meines Vaters. Vor lauter Frust schaue ich in seinem Wohnbereich vorbei. Aber er ist natürlich nicht da. Überhaupt sieht es hier aus, als wäre er noch nie da gewesen. Seit ich wieder in Frankfurt bin, hat es vielleicht vier Abende gegeben, an denen er so früh nachhause gekommen ist, dass wir noch zusammensitzen konnten. Und an denen haben wir fast nur über die Arbeit gesprochen.
Einmal habe ich ihn gefragt, ob er noch oft auf dem Friedhof ist, aber er hat nur stumm den Kopf geschüttelt. »Keine Zeit«, hat er gemurmelt. »Die Geschäfte, du weißt ja. Und du?«
»Genau das Gleiche«, habe ich geantwortet. Dabei hätte ich schon Zeit gehabt. Ich denke auch jeden Abend an meine Mutter, klar, es ist unser altes Haus. Trotzdem war ich noch nicht an ihrem Grab, seit ich aus Berlin wieder da bin. Weiß selber nicht, wieso.
Vielleicht, weil ich keine Lust habe, in Tränen aufgelöst auf dem Kies zu liegen.
Ergebnisoffen
Zur Feier des DVD-Abends verlasse ich heute ausnahmsweise schon um sechs die Agentur. Mein Vater bekommt davon nichts mit, weil er gerade auf der anderen Seite der Welt Menschen zu Maßnahmen rät, die alles noch schlimmer machen. Zuhause räume ich noch mal das Zimmer auf und putze sogar über den riesigen Bildschirm. Tatsächlich hat mir Jay den Film per Kurier aus Indien besorgt, der Schnelligkeit nach muss er mit dem fliegenden Teppich gekommen sein. Ich vermute, wenn ich ihn darum bitten würde, könnte er auch B. K. S. Iyengar dazu bringen, Sina zu seinem hundertsten Geburtstag einzuladen.
Um Punkt sieben klingelt es an der Tür.
Zuerst erkenne ich Sina gar nicht wieder, weil sie roten Lippenstift und Lidschatten trägt. In der Hand hält sie einen bunt emaillierten Topf mit rotem Deckel.
»Oh!«, sage ich überrascht. Sina lacht ein bisschen schüchtern. »Ich habe uns ein Curry mitgebracht, meine Spezialität. Das Currypulver kommt aus Pune. Sie hebt den Deckel. Im Topf schwimmt eine dickliche grün-braune Soße, in der ich verkochte rote Paprikastückchen zu erkennen glaube. Ich hoffe jedenfalls, dass es Paprikastückchen sind.
»Ist ein bisschen viel geworden, aber ich schaffe es nicht, nur für vier Personen zu kochen. Error kommt doch auch, oder?«
»Natürlich«, sage ich. »Er müsste jeden Moment
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