Heldenwinter
Spiegelung des Zorns, den Dalarr in der Elfe angestachelt hatte. »Bist du in meinem Tal? In meinem Haus? Ist Galt mein Liebster?«
»Denk doch nach«, beschwor Dalarr die Elfe. »Denk nicht nur daran, was du willst. Denk an das, was Galt wollen würde. Du bist nicht die Achse, um die diese Welt sich dreht. Ich weiß, dass Geschöpfe, für die Sommer wie Herzschläge sind, das allzu leicht vergessen, aber wir sind nicht die Herren des Schicksals.«
Wir?
»Warum musst du immer die Wahrheit sprechen, Tegin?« Nimarisawis Kinn sackte auf ihre Brust, und das kalte Licht verlor an Strahlkraft. »Hat mein Liebster dir das vorgemacht?«
»Er hat zumindest seinen Teil dazu beigetragen«, sagte Dalarr in einem versöhnlicheren Tonfall. »Lass ihn gehen. Lass ihn gehen, so wie du Sus Atschil hast gehen lassen.«
Eine Weile standen sich der große Mensch und die Elfe schweigend gegenüber. Dann führte Nimarisawi ihren Stock an die Lippen und murmelte etwas, das zu leise war, als dass Namakan es auf diese Entfernung – gut zehn, wenn nicht gar fünfzehn Schritte – hätte hören können. Er hätte es ohnehin nicht verstanden, denn es mussten Worte aus der Sprache der Elfen gewesen sein. Mächtige Worte, die das vermeintlich Feste wandelbar machten.
Der Stock streckte sich, die knorrigen Auswüchse daran wurden glatt. Mehr und mehr verjüngte sich seine Spitze, bis sie in einem langen Dorn auslief, wie man ihn an den Blättern einer Distel fand.
»Bei allen Geistern!«, hauchte Morritbi.
Namakan nahm den Kopf ein Stück zurück, da er befürchtete, die Hexe könnte sie unbedacht verraten haben, doch seine Sorge war unbegründet. Sowohl Dalarr als auch Nimarisawi richteten ihre Blicke auf Galt.
Ich will das nicht sehen. Sie kann ihn doch nicht einfach erstechen. Sie liebt ihn doch!
Morritbis Finger krallten sich in seine Schultern.
»Warte!«, sagte Dalarr. »Sollte seine Tochter nicht dabei sein, wenn er geht?«, fragte Dalarr.
Nimarisawi schüttelte den Kopf. »Fordert Tschumilal nicht schon lange die Erlösung ihres Vaters ein, ohne zu wissen, was das bedeutet? Was dafür getan werden muss? Glaubt sie nicht, sie könnte es, aber ist sie nicht jung und würde es nicht ihren Geist beflecken, den zu töten, dessen eine Hälfte sie ist?«
»Wie du meinst.« Dalarr hob entschuldigend die Hände. »Sie ist dein Kind, nicht meins.«
Nimarisawi trat dicht an die Bahre. Sie streichelte Galts Wange. »Liebster? Liebster? Tschun Kas Rikkach Kab? Hörst du mich denn wirklich nicht?«
Namakan hoffte auf ein Wunder. Auf ein Seufzen Galts. Ein Zucken seiner Hände. Ein Blinzeln. Doch alle Götter – seine und die unbekannten Wesen, zu denen Nimarisawi womöglich betete – legten die Hände in den Schoß, anstatt einzugreifen. Galt rührte sich nicht.
Nimarisawis Stimme war das traurige Plätschern schmelzenden Schnees, als sie sich an Dalarr wandte. »Wie kann ich es tun? Wie kann ich heute tun, was ich damals nicht konnte?«
Wortlos streckte Dalarr den Arm aus, die Handfläche nach oben, die Finger bittend gekrümmt.
Nimarisawi verstand. Sie reichte Dalarr den Stock, der sich durch ihren Zauber in eine Waffe verwandelt hatte.
Er wird es tun! Er wird es für sie tun!
Dalarr schob die Elfe sanft beiseite und fasste mit einer Hand nach Galts Kinn, um es zwischen Daumen und Zeigefinger wie in eine Schraubzwinge zu nehmen. Die andere Hand hob er zum Stoß.
»Was machst du da?« Nimarisawi fuhr ihm in den Arm.
»Ein Stich durchs Auge ins Hirn erlöst ihn am schnellsten«, erklärte Dalarr ruhig. »Vertrau mir. Er wird nichts spüren.«
»Kannst du ihm nicht sein Auge lassen?«, bettelte Nimarisawi. »Sind es nicht seine Augen, die ihn so schön machen?«
Dalarr kam dem Wunsch der Elfe nach. Er klemmte sich den Stock unter die Achsel und löste Galts Finger um den Griff seines Schwertes. Es ging ganz leicht, ohne das Geräusch brechender Knochen, das gewiss erklungen wäre, wenn dort auf dieser Bahre tatsächlich schon ein Leichnam geruht hätte. Mit der Behutsamkeit, mit der ein Vater seinen schlafenden Sohn in eine angenehmere Haltung bringt, nahm Dalarr Galt die Arme von der Brust. Dann griff er das Schwert und legte es seinem Freund an die Seite. Er überließ es Nimarisawi, die Schließen an der hölzernen Brustplatte zu öffnen und die Schnürung des Steppwamses darunter aufzunesteln.
Die Elfe beugte sich herunter, um Galts bloße Brust zu küssen. »Wird sein Herz nicht auf meinen Lippen weiterschlagen?«,
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