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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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fragte sie danach voll unsicherer Hoffnung.
    Dalarr antwortete ihr nicht.
    Er glaubt nur an die Stille Leere. An dieses schreckliche Nichts, wo meine Mutter und meine Geschwister jetzt sein sollen. Und da schickt er nun auch Galt hin …
    Wie ein Steinmetz, der prüfte, an welcher Stelle er den Meißel in den Fels treiben wollte, fuhr Dalarr mit zwei Fingern der linken Hand über Galts Brust. Schließlich verharrten sie, er schwang den anderen Arm in einer kräftigen Bewegung und der Dorn bohrte sich ins Fleisch.
    Da war kein Aufbäumen, kein Schwall Blut, der Galt über die Lippen schoss, kein ersticktes Röcheln. Nur ein leises, feuchtes Schmatzen, als Dalarr den Dorn aus der tödlichen Wunde zog, von dessen glattem Weiß rote Perlen tropften. Und ein unterdrückter Aufschrei Morritbis – der ohnmächtige Laut einer hilflosen Beobachterin. Er ging völlig in dem Geräusch unter, das aus Nimarisawis weit aufgerissenem, zahnlosem Schlund emporraste. Das Heulen und Tosen eines eisigen Orkans, der Baumriesen entwurzelte und ganze Häuser in die Luft riss.
    Das Licht aus den Wänden flackerte heftiger, als es das kleine skaldatgenährte Flämmchen je getan hatte. Der rasche Wechsel aus Grelle und Finsternis weckte in Namakan die lähmende Furcht, die Welt selbst könnte vor dem traurigen Zorn der Elfe nicht bestehen. Als Nimarisawi endlich verstummte und einen furchtbar langen Augenblick düsterste Schwärze herrschte, brach Namakan zusammen. Er spürte kaum, wie ihn die Hände auf seinen Schultern noch fester packten und ihn nach hinten zogen.
    Morritbi hielt ihn umklammert, die Lippen an seinem Ohr, und wisperte: »Es ist vorbei. Es ist vorbei.«
    In einem schwachen Abglanz seines früheren Strahlens kehrte das Licht zurück.
    Ich will hier weg. Namakan drückte Morritbi so sanft von sich, wie es ihm seine Erschütterung erlaubte. Er zog sich an der Wand des Gangs in die Höhe und sah die Hexe an. Das neugierige Funkeln in Morritbis Augen war erloschen.
    Namakan zeigte mit dem Daumen den Gang in die Richtung hinunter, aus der sie gekommen waren.
    Morritbi nickte knapp und nahm seine Hand.
    Sie hatten die nächste Treppe noch nicht erreicht, als sie Nimarisawis Stimme aus der Trauerkammer verfolgte: »Warum geschieht es nicht, Dalarr?«
    Namakan ahnte, wovon die Elfe sprach. Sie wartet darauf, dass mit Galt dasselbe passiert wie mit ihrem Schimmel. Dass dieses Licht – sein Geist, seine Seele – aus seinem Leichnam aufsteigt.
    »Er ist schon lange fort gewesen«, hörte Namakan seinen Meister sagen. »Nicht wir haben ihn getötet. Waldur hat es getan, vor vielen Sommern.«
    Leiser und leiser wurden Dalarrs Worte, je weiter sich Namakan von Morritbi in den dunklen Gang hineinführen ließ. »Ich möchte dich darum bitten, etwas an mich nehmen zu dürfen, was Galt gehört hat.«
    »Zur Erinnerung an ihn oder weil es dir hilft, deine Pläne voranzutreiben, Tegin?«, erwiderte Nimarisawi, und in ihrem Raunen wog die Bitternis schwer.
    »Beides«, vermeinte Namakan zu hören, aber er konnte nicht mehr sicher sein, ob er dieses Wort seinem Meister nicht nur in den Mund legte.
    Auch der kommende Morgen begann für Namakan damit, dass er aus einem unruhigen Schlaf geweckt wurde. Es geschah nicht so sanft wie zuvor durch Morritbi, sondern so forsch und fordernd, wie es die Art seines Meisters war. Das Rütteln und Schütteln machte ihn sofort hellwach.
    »Komm!«
    Namakan hatte gelernt, die seltenen Bitten von den häufigen Befehlen Dalarrs zu unterscheiden, doch diese Aufforderung war anders, denn sie lag irgendwo zwischen diesen beiden Polen.
    Dalarr führte ihn durch das noch verlassene Zimmer mit den Bänken die Treppe hinunter und dann über eine Abfolge von Biegen und Kehren ins Freie.
    Der Ort, an den Dalarr ihn brachte, musste einmal ein blühender Garten gewesen sein. Namakan erkannte einige der Pflanzen wieder – Mandelbäume und Rosensträucher etwa –, aber die meisten waren ihm fremd. Sie hatten jedoch alle eine Gemeinsamkeit: Sie trugen weder Blätter noch Blüten. In einer dicken, verrottenden Schicht lag alles Laub auf den Wurzeln der kahlen Gewächse.
    Der Garten war um einen See herum angelegt, in dem sich das Wasser aus den künstlichen Bächen, die das Elfenreich durchzogen, sammelte, ehe es über den Rand einer Klippe in die Schlucht am Ende des Tals hinabstürzte. Zumindest hätte es das getan, wenn nicht die Eiseskälte alles Sammeln und Stürzen angehalten hätte.
    Sie gingen einen Weg am Ufer des

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